Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Zweiter Abschnitt. mentenbüchlein machet: wenn ihr überhaupt eure Kin-der hunderterlei mit einemmal lernen und treiben las- set, um ihnen die Zeit zu verkürzen: wenn ihr -- auf der einen Seite hart gegen ihren Körper, sie in kaltem Wasser, Regen, Schnee und Eiß umtreibet, um sie ab- zuhärten, als hätten sie in Lappland ihre Unterkunft zu suchen, -- auf der andern Seite übertrieben weich, vor jeder geistigen Anstrengung ängstlich sie bewahret; die Elemente eiligst überspringet, damit das Kind nur nicht verdrießlich werde, in keiner Uebung eine Virtuo- sität, nichts Fleckenloses, fordert, um nur ja das Kind zu übler Laune nicht zu reizen; euch scheuet, zu Ge- dächtnißübungen es anzuhalten, weil es damit sich quä- len möchte, dafür ihm lieber etwas vorerklärt und vor- erzählt, und mit ihm leset, und so ihm Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit, Zerstreuungssucht und Lesewuth zur anderen Natur erziehet: -- -- -- Das alles, und noch vieles dieser Art, was ich Zweiter Abſchnitt. mentenbuͤchlein machet: wenn ihr uͤberhaupt eure Kin-der hunderterlei mit einemmal lernen und treiben laſ- ſet, um ihnen die Zeit zu verkuͤrzen: wenn ihr — auf der einen Seite hart gegen ihren Koͤrper, ſie in kaltem Waſſer, Regen, Schnee und Eiß umtreibet, um ſie ab- zuhaͤrten, als haͤtten ſie in Lappland ihre Unterkunft zu ſuchen, — auf der andern Seite uͤbertrieben weich, vor jeder geiſtigen Anſtrengung aͤngſtlich ſie bewahret; die Elemente eiligſt uͤberſpringet, damit das Kind nur nicht verdrießlich werde, in keiner Uebung eine Virtuo- ſitaͤt, nichts Fleckenloſes, fordert, um nur ja das Kind zu uͤbler Laune nicht zu reizen; euch ſcheuet, zu Ge- daͤchtnißuͤbungen es anzuhalten, weil es damit ſich quaͤ- len moͤchte, dafuͤr ihm lieber etwas vorerklaͤrt und vor- erzaͤhlt, und mit ihm leſet, und ſo ihm Fluͤchtigkeit und Oberflaͤchlichkeit, Zerſtreuungsſucht und Leſewuth zur anderen Natur erziehet: — — — Das alles, und noch vieles dieſer Art, was ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0066" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> mentenbuͤchlein machet: wenn ihr uͤberhaupt eure Kin-<lb/> der hunderterlei mit einemmal lernen und treiben laſ-<lb/> ſet, um ihnen die Zeit zu verkuͤrzen: wenn ihr — auf<lb/> der einen Seite hart gegen ihren Koͤrper, ſie in kaltem<lb/> Waſſer, Regen, Schnee und Eiß umtreibet, um ſie ab-<lb/> zuhaͤrten, als haͤtten ſie in Lappland ihre Unterkunft zu<lb/> ſuchen, — auf der andern Seite uͤbertrieben weich, vor<lb/> jeder geiſtigen Anſtrengung aͤngſtlich ſie bewahret; die<lb/> Elemente eiligſt uͤberſpringet, damit das Kind nur<lb/> nicht verdrießlich werde, in keiner Uebung eine Virtuo-<lb/> ſitaͤt, nichts Fleckenloſes, fordert, um nur ja das Kind<lb/> zu uͤbler Laune nicht zu reizen; euch ſcheuet, zu Ge-<lb/> daͤchtnißuͤbungen es anzuhalten, weil es damit ſich quaͤ-<lb/> len moͤchte, dafuͤr ihm lieber etwas vorerklaͤrt und vor-<lb/> erzaͤhlt, und mit ihm leſet, und ſo ihm Fluͤchtigkeit<lb/> und Oberflaͤchlichkeit, Zerſtreuungsſucht und Leſewuth<lb/> zur anderen Natur erziehet: — — —</p><lb/> <p>Das alles, und noch vieles dieſer Art, was ich<lb/> euch treiben ſehe, iſt <hi rendition="#g">Philanthropiniſmus</hi>, der<lb/> aus <hi rendition="#g">Unglauben</hi> koͤmmt, und, wo er auch nicht da-<lb/> her koͤmmt, doch dahin fuͤhrt. Ich bin jedoch weit<lb/> entfernt, euch alle zu beſchuldigen, daß die Vorliebe, die<lb/> ihr zu dieſer Art von Paͤdagogik und Erziehungsun-<lb/> terricht gefaßt habt, auch bei euch aus jener vergifte-<lb/> ten Quelle komme: wie koͤnnte ich auch ſo vermeſſen<lb/> und ungerecht ſeyn wollen! Ich kenne ſelbſt ſo Viele,<lb/> die in der beßten Ueberzeugung dieſen Weg fuͤr ihre<lb/> Kinder waͤhlen, weil ſie nicht ahnen, wohin er fuͤhrt:<lb/> ſie freuen ſich vielmehr der Weisheit unſrer Paͤdago-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0066]
Zweiter Abſchnitt.
mentenbuͤchlein machet: wenn ihr uͤberhaupt eure Kin-
der hunderterlei mit einemmal lernen und treiben laſ-
ſet, um ihnen die Zeit zu verkuͤrzen: wenn ihr — auf
der einen Seite hart gegen ihren Koͤrper, ſie in kaltem
Waſſer, Regen, Schnee und Eiß umtreibet, um ſie ab-
zuhaͤrten, als haͤtten ſie in Lappland ihre Unterkunft zu
ſuchen, — auf der andern Seite uͤbertrieben weich, vor
jeder geiſtigen Anſtrengung aͤngſtlich ſie bewahret; die
Elemente eiligſt uͤberſpringet, damit das Kind nur
nicht verdrießlich werde, in keiner Uebung eine Virtuo-
ſitaͤt, nichts Fleckenloſes, fordert, um nur ja das Kind
zu uͤbler Laune nicht zu reizen; euch ſcheuet, zu Ge-
daͤchtnißuͤbungen es anzuhalten, weil es damit ſich quaͤ-
len moͤchte, dafuͤr ihm lieber etwas vorerklaͤrt und vor-
erzaͤhlt, und mit ihm leſet, und ſo ihm Fluͤchtigkeit
und Oberflaͤchlichkeit, Zerſtreuungsſucht und Leſewuth
zur anderen Natur erziehet: — — —
Das alles, und noch vieles dieſer Art, was ich
euch treiben ſehe, iſt Philanthropiniſmus, der
aus Unglauben koͤmmt, und, wo er auch nicht da-
her koͤmmt, doch dahin fuͤhrt. Ich bin jedoch weit
entfernt, euch alle zu beſchuldigen, daß die Vorliebe, die
ihr zu dieſer Art von Paͤdagogik und Erziehungsun-
terricht gefaßt habt, auch bei euch aus jener vergifte-
ten Quelle komme: wie koͤnnte ich auch ſo vermeſſen
und ungerecht ſeyn wollen! Ich kenne ſelbſt ſo Viele,
die in der beßten Ueberzeugung dieſen Weg fuͤr ihre
Kinder waͤhlen, weil ſie nicht ahnen, wohin er fuͤhrt:
ſie freuen ſich vielmehr der Weisheit unſrer Paͤdago-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |