Es ist aber um so mehr nothwendig, diese Denk- art hier in ihrem wahren Lichte zu zeigen, nicht bloß weil sie so natürlich ist und deshalb so viele Anhänger hat, sondern insbesondre auch weil sie als die Haupt- grundlage des Philanthropinismus noch nicht genug beachtet ist. Folgendes sind die Grundzüge zu einer vollständigeren Schilderung dieses einschmeichelnden Sy- stems.
"Dieses Erdenleben hat der Mensch; seinen Kör- per fühlt er, und die Lust, die in ihm sich regt; die Welt, die in ihm sich spiegelt, berührt er, um sich von ihrer Solidität unwidersprechlich zu überzeugen, und den hohen Werth, den sie für ihn hat, spürt er in dem Vergnügen, das er nicht nur von ihrem Anblick, son- dern noch kräftiger, indem er von ihr verschlingt, em- pfindet. Doch wär er darinn nur dem Thiere gleich, das auch, wie er, des Daseyns Lust genießt. Allein sein hoher Vorzug vor dem Thiere wird ihm unverkenn- bar durch das Bewußtseyn seines Geistes selbst bewährt. Zwar, ihn, den Unsichtbaren, sehen kann er nicht: allein die Wahrheit seines Daseyns bleibt ihm doch nicht zweifelhaft; er erkennt sie in den Lebensplanen, die sein Geist entwirft, die seinem Leben erst Bedeu- tung, Zweck und Einheit geben. Kann auch das Thier mit Zweck und Plan sich diese Erde unterwerfen, aus tausend Freuden und Genüssen, die sie darbeut, sich die reizendsten, die reichsten und die dauerndsten erwäh- len, die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft klug in Eins verbinden, mit Scharfsicht und geübtem Blick
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Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
Es iſt aber um ſo mehr nothwendig, dieſe Denk- art hier in ihrem wahren Lichte zu zeigen, nicht bloß weil ſie ſo natuͤrlich iſt und deshalb ſo viele Anhaͤnger hat, ſondern insbeſondre auch weil ſie als die Haupt- grundlage des Philanthropinismus noch nicht genug beachtet iſt. Folgendes ſind die Grundzuͤge zu einer vollſtaͤndigeren Schilderung dieſes einſchmeichelnden Sy- ſtems.
„Dieſes Erdenleben hat der Menſch; ſeinen Koͤr- per fuͤhlt er, und die Luſt, die in ihm ſich regt; die Welt, die in ihm ſich ſpiegelt, beruͤhrt er, um ſich von ihrer Soliditaͤt unwiderſprechlich zu uͤberzeugen, und den hohen Werth, den ſie fuͤr ihn hat, ſpuͤrt er in dem Vergnuͤgen, das er nicht nur von ihrem Anblick, ſon- dern noch kraͤftiger, indem er von ihr verſchlingt, em- pfindet. Doch waͤr er darinn nur dem Thiere gleich, das auch, wie er, des Daſeyns Luſt genießt. Allein ſein hoher Vorzug vor dem Thiere wird ihm unverkenn- bar durch das Bewußtſeyn ſeines Geiſtes ſelbſt bewaͤhrt. Zwar, ihn, den Unſichtbaren, ſehen kann er nicht: allein die Wahrheit ſeines Daſeyns bleibt ihm doch nicht zweifelhaft; er erkennt ſie in den Lebensplanen, die ſein Geiſt entwirft, die ſeinem Leben erſt Bedeu- tung, Zweck und Einheit geben. Kann auch das Thier mit Zweck und Plan ſich dieſe Erde unterwerfen, aus tauſend Freuden und Genuͤſſen, die ſie darbeut, ſich die reizendſten, die reichſten und die dauerndſten erwaͤh- len, die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft klug in Eins verbinden, mit Scharfſicht und geuͤbtem Blick
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Wiſſenſchaftl. Geſichtspunkt d. Unterſuchung.
Es iſt aber um ſo mehr nothwendig, dieſe Denk-
art hier in ihrem wahren Lichte zu zeigen, nicht bloß
weil ſie ſo natuͤrlich iſt und deshalb ſo viele Anhaͤnger
hat, ſondern insbeſondre auch weil ſie als die Haupt-
grundlage des Philanthropinismus noch nicht genug
beachtet iſt. Folgendes ſind die Grundzuͤge zu einer
vollſtaͤndigeren Schilderung dieſes einſchmeichelnden Sy-
ſtems.
„Dieſes Erdenleben hat der Menſch; ſeinen Koͤr-
per fuͤhlt er, und die Luſt, die in ihm ſich regt; die
Welt, die in ihm ſich ſpiegelt, beruͤhrt er, um ſich von
ihrer Soliditaͤt unwiderſprechlich zu uͤberzeugen, und den
hohen Werth, den ſie fuͤr ihn hat, ſpuͤrt er in dem
Vergnuͤgen, das er nicht nur von ihrem Anblick, ſon-
dern noch kraͤftiger, indem er von ihr verſchlingt, em-
pfindet. Doch waͤr er darinn nur dem Thiere gleich,
das auch, wie er, des Daſeyns Luſt genießt. Allein
ſein hoher Vorzug vor dem Thiere wird ihm unverkenn-
bar durch das Bewußtſeyn ſeines Geiſtes ſelbſt bewaͤhrt.
Zwar, ihn, den Unſichtbaren, ſehen kann er nicht:
allein die Wahrheit ſeines Daſeyns bleibt ihm doch
nicht zweifelhaft; er erkennt ſie in den Lebensplanen,
die ſein Geiſt entwirft, die ſeinem Leben erſt Bedeu-
tung, Zweck und Einheit geben. Kann auch das Thier
mit Zweck und Plan ſich dieſe Erde unterwerfen, aus
tauſend Freuden und Genuͤſſen, die ſie darbeut, ſich
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len, die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft klug
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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