Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
gestörte Gleichgewicht herzustellen selbstständig strebt; von
der andern Seite soll damit vorläufig gewarnt werden,
nicht in der Bedeutung mechanischer Abtrennung zu neh-
men, was hier von abgesonderten Uebungen des Ge-
dächtnisses, des Urtheils u. s. w. zu sagen ist.

Betrachten wir nun die intellectuellen Anlagen und
Kräfte des Lehrlings, die das Object der künstlichen
Einwirkung des Erziehungsunterrichts ausmachen, aus
dem Gesichtspunkt der hier vorangeschickten kurzen Er-
örterung, so finden wir sie in dem natürlichen Gang
ihrer stufenweisen Entwickelung in folgender Ordnung
hervortreten: 1) Auffassen des Einzelnen,
2) Verbinden von Einzelnem, 3) Trennen
von Verbundnem und Einzelnem, 4) Wie-
derverbinden von beidem
, und Verknüpfen
zu einer höheren Einheit
. Will man nun diese
unterschiednen Functionen des freien Denkens mit meta-
physischen Kunstausdrücken durch Thesis, Analy-
sis
und Synthesis bezeichnen, oder in der psy-
chologischen Kunstsprache durch Anschauung, Ge-
dächtniß, Urtheil
u. s. w. ausdrücken, so ist
dagegen nichts einzuwenden, wenn man sich nur die
Ansicht klar erhält, daß die gemachte Unterscheidung
der geistigen Functionen nicht eine Trennung des Geistes
in einzelne zu isolirende Theile ist.

Der bezeichneten Ordnung nun zufolge wäre unsre
Frage so zu stellen: soll der Unterricht, als die künst-

Dritter Abſchnitt.
geſtoͤrte Gleichgewicht herzuſtellen ſelbſtſtaͤndig ſtrebt; von
der andern Seite ſoll damit vorlaͤufig gewarnt werden,
nicht in der Bedeutung mechaniſcher Abtrennung zu neh-
men, was hier von abgeſonderten Uebungen des Ge-
daͤchtniſſes, des Urtheils u. ſ. w. zu ſagen iſt.

Betrachten wir nun die intellectuellen Anlagen und
Kraͤfte des Lehrlings, die das Object der kuͤnſtlichen
Einwirkung des Erziehungsunterrichts ausmachen, aus
dem Geſichtspunkt der hier vorangeſchickten kurzen Er-
oͤrterung, ſo finden wir ſie in dem natuͤrlichen Gang
ihrer ſtufenweiſen Entwickelung in folgender Ordnung
hervortreten: 1) Auffaſſen des Einzelnen,
2) Verbinden von Einzelnem, 3) Trennen
von Verbundnem und Einzelnem, 4) Wie-
derverbinden von beidem
, und Verknuͤpfen
zu einer hoͤheren Einheit
. Will man nun dieſe
unterſchiednen Functionen des freien Denkens mit meta-
phyſiſchen Kunſtausdruͤcken durch Theſis, Analy-
ſis
und Syntheſis bezeichnen, oder in der pſy-
chologiſchen Kunſtſprache durch Anſchauung, Ge-
daͤchtniß, Urtheil
u. ſ. w. ausdruͤcken, ſo iſt
dagegen nichts einzuwenden, wenn man ſich nur die
Anſicht klar erhaͤlt, daß die gemachte Unterſcheidung
der geiſtigen Functionen nicht eine Trennung des Geiſtes
in einzelne zu iſolirende Theile iſt.

Der bezeichneten Ordnung nun zufolge waͤre unſre
Frage ſo zu ſtellen: ſoll der Unterricht, als die kuͤnſt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0298" n="286"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
ge&#x017F;to&#x0364;rte Gleichgewicht herzu&#x017F;tellen &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;trebt; von<lb/>
der andern Seite &#x017F;oll damit vorla&#x0364;ufig gewarnt werden,<lb/>
nicht in der Bedeutung mechani&#x017F;cher Abtrennung zu neh-<lb/>
men, was hier von abge&#x017F;onderten Uebungen des Ge-<lb/>
da&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;es, des Urtheils u. &#x017F;. w. zu &#x017F;agen i&#x017F;t.</p><lb/>
                  <p>Betrachten wir nun die intellectuellen Anlagen und<lb/>
Kra&#x0364;fte des Lehrlings, die das Object der ku&#x0364;n&#x017F;tlichen<lb/>
Einwirkung des Erziehungsunterrichts ausmachen, aus<lb/>
dem Ge&#x017F;ichtspunkt der hier vorange&#x017F;chickten kurzen Er-<lb/>
o&#x0364;rterung, &#x017F;o finden wir &#x017F;ie in dem natu&#x0364;rlichen Gang<lb/>
ihrer &#x017F;tufenwei&#x017F;en Entwickelung in folgender Ordnung<lb/>
hervortreten: 1) <hi rendition="#g">Auffa&#x017F;&#x017F;en des Einzelnen,<lb/>
2) Verbinden von Einzelnem, 3) Trennen<lb/>
von Verbundnem und Einzelnem, 4) Wie-<lb/>
derverbinden von beidem</hi>, und <hi rendition="#g">Verknu&#x0364;pfen<lb/>
zu einer ho&#x0364;heren Einheit</hi>. Will man nun die&#x017F;e<lb/>
unter&#x017F;chiednen Functionen des freien Denkens mit meta-<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;chen Kun&#x017F;tausdru&#x0364;cken durch <hi rendition="#g">The&#x017F;is, Analy-<lb/>
&#x017F;is</hi> und <hi rendition="#g">Synthe&#x017F;is</hi> bezeichnen, oder in der p&#x017F;y-<lb/>
chologi&#x017F;chen Kun&#x017F;t&#x017F;prache durch <hi rendition="#g">An&#x017F;chauung, Ge-<lb/>
da&#x0364;chtniß, Urtheil</hi> u. &#x017F;. w. ausdru&#x0364;cken, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
dagegen nichts einzuwenden, wenn man &#x017F;ich nur die<lb/>
An&#x017F;icht klar erha&#x0364;lt, daß die gemachte Unter&#x017F;cheidung<lb/>
der gei&#x017F;tigen Functionen nicht eine Trennung des Gei&#x017F;tes<lb/>
in einzelne zu i&#x017F;olirende Theile i&#x017F;t.</p><lb/>
                  <p>Der bezeichneten Ordnung nun zufolge wa&#x0364;re un&#x017F;re<lb/>
Frage &#x017F;o zu &#x017F;tellen: &#x017F;oll der Unterricht, als die ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0298] Dritter Abſchnitt. geſtoͤrte Gleichgewicht herzuſtellen ſelbſtſtaͤndig ſtrebt; von der andern Seite ſoll damit vorlaͤufig gewarnt werden, nicht in der Bedeutung mechaniſcher Abtrennung zu neh- men, was hier von abgeſonderten Uebungen des Ge- daͤchtniſſes, des Urtheils u. ſ. w. zu ſagen iſt. Betrachten wir nun die intellectuellen Anlagen und Kraͤfte des Lehrlings, die das Object der kuͤnſtlichen Einwirkung des Erziehungsunterrichts ausmachen, aus dem Geſichtspunkt der hier vorangeſchickten kurzen Er- oͤrterung, ſo finden wir ſie in dem natuͤrlichen Gang ihrer ſtufenweiſen Entwickelung in folgender Ordnung hervortreten: 1) Auffaſſen des Einzelnen, 2) Verbinden von Einzelnem, 3) Trennen von Verbundnem und Einzelnem, 4) Wie- derverbinden von beidem, und Verknuͤpfen zu einer hoͤheren Einheit. Will man nun dieſe unterſchiednen Functionen des freien Denkens mit meta- phyſiſchen Kunſtausdruͤcken durch Theſis, Analy- ſis und Syntheſis bezeichnen, oder in der pſy- chologiſchen Kunſtſprache durch Anſchauung, Ge- daͤchtniß, Urtheil u. ſ. w. ausdruͤcken, ſo iſt dagegen nichts einzuwenden, wenn man ſich nur die Anſicht klar erhaͤlt, daß die gemachte Unterſcheidung der geiſtigen Functionen nicht eine Trennung des Geiſtes in einzelne zu iſolirende Theile iſt. Der bezeichneten Ordnung nun zufolge waͤre unſre Frage ſo zu ſtellen: ſoll der Unterricht, als die kuͤnſt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/298
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/298>, abgerufen am 22.11.2024.