Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Dritter Abschnitt. Die Kraft der Trägheit in dem Menschen ist nicht bloßeine Negation von Kraft, sie ist vielmehr eine wider- strebende Kraft. Eigentliche Lust zur Arbeit ist eben darum von Natur nicht in ihm; vielmehr dem nämli- chen Geschäft, das er spielend thut, wenn ers aus Laune und aus freiem Willen gewählt hat, widerstrebt sein Trieb, sobald er es als Arbeit, die ihm auferlegt ist, betrachtet. Dies kann man täglich an den Kindern sehen, und sieht es auch zu seinem Aerger an Alten, die wie Kinder in dieser Rücksicht geblieben sind. Das nämlich kömmt heraus bei jener Zucht, die alle Arbeit nur auf Lust des Kindes will ankommen lassen: alte Kinder, die zu jeder Arbeit eine eigne Laune abwarten wollen, und immer von der Stimmung reden, die erst kommen müsse, ehe sie etwas zu thun vermöchten, die nur dann arbeiten, wenn sie die Arbeit zum Bedürfniß, zum Vertreiben der Langenweile nöthig haben. Ob das Menschen sind, wie man sie in der Welt Dritter Abſchnitt. Die Kraft der Traͤgheit in dem Menſchen iſt nicht bloßeine Negation von Kraft, ſie iſt vielmehr eine wider- ſtrebende Kraft. Eigentliche Luſt zur Arbeit iſt eben darum von Natur nicht in ihm; vielmehr dem naͤmli- chen Geſchaͤft, das er ſpielend thut, wenn ers aus Laune und aus freiem Willen gewaͤhlt hat, widerſtrebt ſein Trieb, ſobald er es als Arbeit, die ihm auferlegt iſt, betrachtet. Dies kann man taͤglich an den Kindern ſehen, und ſieht es auch zu ſeinem Aerger an Alten, die wie Kinder in dieſer Ruͤckſicht geblieben ſind. Das naͤmlich koͤmmt heraus bei jener Zucht, die alle Arbeit nur auf Luſt des Kindes will ankommen laſſen: alte Kinder, die zu jeder Arbeit eine eigne Laune abwarten wollen, und immer von der Stimmung reden, die erſt kommen muͤſſe, ehe ſie etwas zu thun vermoͤchten, die nur dann arbeiten, wenn ſie die Arbeit zum Beduͤrfniß, zum Vertreiben der Langenweile noͤthig haben. Ob das Menſchen ſind, wie man ſie in der Welt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0256" n="244"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abſchnitt.</hi></fw><lb/> Die Kraft der Traͤgheit in dem Menſchen iſt nicht bloß<lb/> eine Negation von Kraft, ſie iſt vielmehr eine wider-<lb/> ſtrebende Kraft. Eigentliche Luſt zur Arbeit iſt eben<lb/> darum von Natur nicht in ihm; vielmehr dem naͤmli-<lb/> chen Geſchaͤft, das er ſpielend thut, wenn ers aus<lb/> Laune und aus freiem Willen gewaͤhlt hat, widerſtrebt<lb/> ſein Trieb, ſobald er es als Arbeit, die ihm auferlegt<lb/> iſt, betrachtet. Dies kann man taͤglich an den Kindern<lb/> ſehen, und ſieht es auch zu ſeinem Aerger an Alten,<lb/> die wie Kinder in dieſer Ruͤckſicht geblieben ſind. Das<lb/> naͤmlich koͤmmt heraus bei jener Zucht, die alle Arbeit<lb/> nur auf Luſt des Kindes will ankommen laſſen: alte<lb/> Kinder, die zu jeder Arbeit eine eigne Laune abwarten<lb/> wollen, und immer von der Stimmung reden, die erſt<lb/> kommen muͤſſe, ehe ſie etwas zu thun vermoͤchten, die<lb/> nur dann arbeiten, wenn ſie die Arbeit zum Beduͤrfniß,<lb/> zum Vertreiben der Langenweile noͤthig haben.</p><lb/> <p>Ob das Menſchen ſind, wie man ſie in der Welt<lb/> braucht, will ich hier gar nicht fragen. Die Welt hat<lb/> darinn eine eigne Zucht; die Noth lehrt nicht bloß<lb/> beten, ſie lehrt auch arbeiten, und wers nicht in ſeiner<lb/> Jugend gelernt hat, der muß es doch noch oft in ſpaͤ-<lb/> tern Jahren lernen: er verliert dabei am meiſten, durch<lb/> den Schmerz, den ihm der Druck der Noth nun dop-<lb/> pelt fuͤhlbar macht. Aber davon muͤſſen wir doch<lb/> reden, daß die Erziehung ihre Pflicht ſehr ſchlecht er-<lb/> fuͤllt, wenn ſie die Noth zum Supplement erſt noͤ-<lb/> thig hat!</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0256]
Dritter Abſchnitt.
Die Kraft der Traͤgheit in dem Menſchen iſt nicht bloß
eine Negation von Kraft, ſie iſt vielmehr eine wider-
ſtrebende Kraft. Eigentliche Luſt zur Arbeit iſt eben
darum von Natur nicht in ihm; vielmehr dem naͤmli-
chen Geſchaͤft, das er ſpielend thut, wenn ers aus
Laune und aus freiem Willen gewaͤhlt hat, widerſtrebt
ſein Trieb, ſobald er es als Arbeit, die ihm auferlegt
iſt, betrachtet. Dies kann man taͤglich an den Kindern
ſehen, und ſieht es auch zu ſeinem Aerger an Alten,
die wie Kinder in dieſer Ruͤckſicht geblieben ſind. Das
naͤmlich koͤmmt heraus bei jener Zucht, die alle Arbeit
nur auf Luſt des Kindes will ankommen laſſen: alte
Kinder, die zu jeder Arbeit eine eigne Laune abwarten
wollen, und immer von der Stimmung reden, die erſt
kommen muͤſſe, ehe ſie etwas zu thun vermoͤchten, die
nur dann arbeiten, wenn ſie die Arbeit zum Beduͤrfniß,
zum Vertreiben der Langenweile noͤthig haben.
Ob das Menſchen ſind, wie man ſie in der Welt
braucht, will ich hier gar nicht fragen. Die Welt hat
darinn eine eigne Zucht; die Noth lehrt nicht bloß
beten, ſie lehrt auch arbeiten, und wers nicht in ſeiner
Jugend gelernt hat, der muß es doch noch oft in ſpaͤ-
tern Jahren lernen: er verliert dabei am meiſten, durch
den Schmerz, den ihm der Druck der Noth nun dop-
pelt fuͤhlbar macht. Aber davon muͤſſen wir doch
reden, daß die Erziehung ihre Pflicht ſehr ſchlecht er-
fuͤllt, wenn ſie die Noth zum Supplement erſt noͤ-
thig hat!
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