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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Dritter Abschnitt.
Unparteiischer den Vorzug des Alterthums läugnen wol-
len, und es also schon insofern eine unerlaßliche Auf-
gabe der freien Bildung bleiben, sich zum Anschauen
der unerreichten Originale selbst zu erheben. Fürs
zweite auch in diesem Gebiete der Ideen ist unsre
Zeit
in Absicht auf Innhalt und Form in einem
Kampfe begriffen, der seine Versöhnung erst von der
Zukunft erwartet. Man entrüstet sich gegen die Ver-
kehrtheit unserer jungen Generation, man klagt über
ihre Keckheit und Meisterlosigkeit, man zürnt oder
spottet über ihre Schwärmerei und Abgeschmacktheit,
und man möchte gern das ganze Unwesen mit Feuer
und Schwerdt vertilgen, das man als den Keim der
Zerstörung unsrer ganzen Cultur betrachtet. Dem Ru-
higeren erscheint die Gefahr nicht so groß, und er
kann auf keinen Fall wünschen, daß gegen jenes frei-
lich noch verworrne Streben Gewalt angewendet
werde: "ist das Werk von Gott, -- denkt er mit Ga-
maliel -- so werdet ihrs nicht hindern." Wohl aber
muß er wünschen, daß, die so klagen, ihrer eignen
Schuld dabei nicht vergessen möchten, um das wahre
Hülfsmittel nicht länger zu verkennen. Auch auf dem
Gebiete der Ideen ist das Unglück nicht jener unver-
söhnte Kampf über Innhalt und Form: durch den
Kampf muß die Versöhnung kommen. Das Unglück
vielmehr ist, daß der Kampf durch eine zufällige Aus-
artung entstellt ist, und der einzig sichre Punkt, sich
zu orientiren, von den Kämpfern theils nicht gekannt,
theils nicht genug beachtet ist. Wessen aber ist die
Schuld davon, als eben derer, die jenen Punkt in

Dritter Abſchnitt.
Unparteiiſcher den Vorzug des Alterthums laͤugnen wol-
len, und es alſo ſchon inſofern eine unerlaßliche Auf-
gabe der freien Bildung bleiben, ſich zum Anſchauen
der unerreichten Originale ſelbſt zu erheben. Fuͤrs
zweite auch in dieſem Gebiete der Ideen iſt unſre
Zeit
in Abſicht auf Innhalt und Form in einem
Kampfe begriffen, der ſeine Verſoͤhnung erſt von der
Zukunft erwartet. Man entruͤſtet ſich gegen die Ver-
kehrtheit unſerer jungen Generation, man klagt uͤber
ihre Keckheit und Meiſterloſigkeit, man zuͤrnt oder
ſpottet uͤber ihre Schwaͤrmerei und Abgeſchmacktheit,
und man moͤchte gern das ganze Unweſen mit Feuer
und Schwerdt vertilgen, das man als den Keim der
Zerſtoͤrung unſrer ganzen Cultur betrachtet. Dem Ru-
higeren erſcheint die Gefahr nicht ſo groß, und er
kann auf keinen Fall wuͤnſchen, daß gegen jenes frei-
lich noch verworrne Streben Gewalt angewendet
werde: „iſt das Werk von Gott, — denkt er mit Ga-
maliel — ſo werdet ihrs nicht hindern.“ Wohl aber
muß er wuͤnſchen, daß, die ſo klagen, ihrer eignen
Schuld dabei nicht vergeſſen moͤchten, um das wahre
Huͤlfsmittel nicht laͤnger zu verkennen. Auch auf dem
Gebiete der Ideen iſt das Ungluͤck nicht jener unver-
ſoͤhnte Kampf uͤber Innhalt und Form: durch den
Kampf muß die Verſoͤhnung kommen. Das Ungluͤck
vielmehr iſt, daß der Kampf durch eine zufaͤllige Aus-
artung entſtellt iſt, und der einzig ſichre Punkt, ſich
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[234/0246] Dritter Abſchnitt. Unparteiiſcher den Vorzug des Alterthums laͤugnen wol- len, und es alſo ſchon inſofern eine unerlaßliche Auf- gabe der freien Bildung bleiben, ſich zum Anſchauen der unerreichten Originale ſelbſt zu erheben. Fuͤrs zweite auch in dieſem Gebiete der Ideen iſt unſre Zeit in Abſicht auf Innhalt und Form in einem Kampfe begriffen, der ſeine Verſoͤhnung erſt von der Zukunft erwartet. Man entruͤſtet ſich gegen die Ver- kehrtheit unſerer jungen Generation, man klagt uͤber ihre Keckheit und Meiſterloſigkeit, man zuͤrnt oder ſpottet uͤber ihre Schwaͤrmerei und Abgeſchmacktheit, und man moͤchte gern das ganze Unweſen mit Feuer und Schwerdt vertilgen, das man als den Keim der Zerſtoͤrung unſrer ganzen Cultur betrachtet. Dem Ru- higeren erſcheint die Gefahr nicht ſo groß, und er kann auf keinen Fall wuͤnſchen, daß gegen jenes frei- lich noch verworrne Streben Gewalt angewendet werde: „iſt das Werk von Gott, — denkt er mit Ga- maliel — ſo werdet ihrs nicht hindern.“ Wohl aber muß er wuͤnſchen, daß, die ſo klagen, ihrer eignen Schuld dabei nicht vergeſſen moͤchten, um das wahre Huͤlfsmittel nicht laͤnger zu verkennen. Auch auf dem Gebiete der Ideen iſt das Ungluͤck nicht jener unver- ſoͤhnte Kampf uͤber Innhalt und Form: durch den Kampf muß die Verſoͤhnung kommen. Das Ungluͤck vielmehr iſt, daß der Kampf durch eine zufaͤllige Aus- artung entſtellt iſt, und der einzig ſichre Punkt, ſich zu orientiren, von den Kaͤmpfern theils nicht gekannt, theils nicht genug beachtet iſt. Weſſen aber iſt die Schuld davon, als eben derer, die jenen Punkt in

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/246>, abgerufen am 24.11.2024.