Sylben und Worte: beide Motive für Auge und Ohr so in einander verschmolzen, wie nur Musik und Mi- mik sie verschmelzen können; indem sie die Zeichnung des Wortes für das Auge mit der Zeichnung des Rhyth- mus für das Ohr verbindet, den lustig in Zweigen bewegten Vogel z. B. zugleich in der Lieblichkeit seiner Töne nachahmt, oder das Stampfen des Rosses im Klang der Worte ertönen läßt.
Und von dem Studium dieser Kunst, in welcher als Naturkunst (sofern sie nicht durch Reflexion von gegebenen Vorbildern abstrahirt und darnach gelernt war) die Alten Meister sind, will man mit der Ver- achtung sprechen, als tödte es im Worte den Geist. Freilich, wem es überhaupt gleich gilt, wie er sich ausdrücke, wem von dem Geist, der in der Rede selbst erscheint, nichts geoffenbart, wem der Nerv jenes in- nern Auges und Ohres, womit die Schilderei des Wortes erfaßt seyn will, erstorben oder abgestochen ist, dem kann die Kunst selbst nichts gelten, dem muß das Studium derselben leer und zwecklos dünken, der wird auch das hier Gesagte -- Böhmisch finden. Doch wird es Wenigen so ganz an Sinn für die Kunst der Sprache fehlen, daß ihnen nicht wenigstens in groben Zügen etwas davon einleuchtend gemacht werden könnte. Die von ihnen es wagen, das Sprachstudium zu höh- nen, mag man nur daran erinnern, wie oft sie das, was sie gedacht haben, auf eine Weise sagen, in welcher Niemand ihr Gedachtes recht erkennen kann, und wo sie nicht selten sich selber nachhelfend erklären
Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Sylben und Worte: beide Motive fuͤr Auge und Ohr ſo in einander verſchmolzen, wie nur Muſik und Mi- mik ſie verſchmelzen koͤnnen; indem ſie die Zeichnung des Wortes fuͤr das Auge mit der Zeichnung des Rhyth- mus fuͤr das Ohr verbindet, den luſtig in Zweigen bewegten Vogel z. B. zugleich in der Lieblichkeit ſeiner Toͤne nachahmt, oder das Stampfen des Roſſes im Klang der Worte ertoͤnen laͤßt.
Und von dem Studium dieſer Kunſt, in welcher als Naturkunſt (ſofern ſie nicht durch Reflexion von gegebenen Vorbildern abſtrahirt und darnach gelernt war) die Alten Meiſter ſind, will man mit der Ver- achtung ſprechen, als toͤdte es im Worte den Geiſt. Freilich, wem es uͤberhaupt gleich gilt, wie er ſich ausdruͤcke, wem von dem Geiſt, der in der Rede ſelbſt erſcheint, nichts geoffenbart, wem der Nerv jenes in- nern Auges und Ohres, womit die Schilderei des Wortes erfaßt ſeyn will, erſtorben oder abgeſtochen iſt, dem kann die Kunſt ſelbſt nichts gelten, dem muß das Studium derſelben leer und zwecklos duͤnken, der wird auch das hier Geſagte — Boͤhmiſch finden. Doch wird es Wenigen ſo ganz an Sinn fuͤr die Kunſt der Sprache fehlen, daß ihnen nicht wenigſtens in groben Zuͤgen etwas davon einleuchtend gemacht werden koͤnnte. Die von ihnen es wagen, das Sprachſtudium zu hoͤh- nen, mag man nur daran erinnern, wie oft ſie das, was ſie gedacht haben, auf eine Weiſe ſagen, in welcher Niemand ihr Gedachtes recht erkennen kann, und wo ſie nicht ſelten ſich ſelber nachhelfend erklaͤren
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Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
Sylben und Worte: beide Motive fuͤr Auge und Ohr
ſo in einander verſchmolzen, wie nur Muſik und Mi-
mik ſie verſchmelzen koͤnnen; indem ſie die Zeichnung
des Wortes fuͤr das Auge mit der Zeichnung des Rhyth-
mus fuͤr das Ohr verbindet, den luſtig in Zweigen
bewegten Vogel z. B. zugleich in der Lieblichkeit ſeiner
Toͤne nachahmt, oder das Stampfen des Roſſes im
Klang der Worte ertoͤnen laͤßt.
Und von dem Studium dieſer Kunſt, in welcher
als Naturkunſt (ſofern ſie nicht durch Reflexion von
gegebenen Vorbildern abſtrahirt und darnach gelernt
war) die Alten Meiſter ſind, will man mit der Ver-
achtung ſprechen, als toͤdte es im Worte den Geiſt.
Freilich, wem es uͤberhaupt gleich gilt, wie er ſich
ausdruͤcke, wem von dem Geiſt, der in der Rede ſelbſt
erſcheint, nichts geoffenbart, wem der Nerv jenes in-
nern Auges und Ohres, womit die Schilderei des
Wortes erfaßt ſeyn will, erſtorben oder abgeſtochen iſt,
dem kann die Kunſt ſelbſt nichts gelten, dem muß das
Studium derſelben leer und zwecklos duͤnken, der wird
auch das hier Geſagte — Boͤhmiſch finden. Doch
wird es Wenigen ſo ganz an Sinn fuͤr die Kunſt der
Sprache fehlen, daß ihnen nicht wenigſtens in groben
Zuͤgen etwas davon einleuchtend gemacht werden koͤnnte.
Die von ihnen es wagen, das Sprachſtudium zu hoͤh-
nen, mag man nur daran erinnern, wie oft ſie das,
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/235>, abgerufen am 23.07.2024.
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