Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.Dritter Abschnitt. sie aus Nationalparteilichkeit die fremde Quelle, ausder sie geschopft hatten, oft zu verbergen wußten, sol- len wir deshalb blindlings alles als ihr Eigenthum annehmen? Wollen wir vergessen, was sie von Aegyp- tern, Persern, Indiern etc. gelernt und geborgt haben, und wovon wir in ihrer Religion, in ihrer Philosopie besonders die unverkennbarsten Spuren finden? Freilich haben sie nicht das Studium der Sprachen jener Völ- ker zum allgemeinen Gegenstand ihres Erziehungsunter- richts gemacht: aber das wollen ja auch wir nicht. Nur die gelehrte Bildung soll in jedem civilisirten Staate erhalten und gepflegt werden, und nur die In- dividuen, die durch ihr Talent dazu berufen sind, den von der Vorwelt uns überlieferten Schatz der allgemei- nen Bildung bewahren zu helfen, sollen auch die Spra- chen der Vorwelt (und zwar nicht bloß der occidentalen sondern auch der orientalen) lernen und kennen. Dies ist auch bei den Griechen nicht versäumt worden, in deren gelehrten Schriften noch Belege genug davon zu finden sind. Wenn sie es aber auch versäumt hätten, so würde dies noch immer gegen unsre Forderung nichts beweisen, da unstreitig so Vieles von der älte- ren Cultur durch die Ueberlieferung so entstellt zu uns gelangt ist, daß wir wenigstens das Studium der alten Sprachen selbst noch jetzt nicht entbehren können, um aus den uns erhaltnen Urkunden uns eine richtigere Vorstellung von der ganzen alten Welt und ihrer Cul- tur zu verschaffen. Mit der letzteren Bemerkung könnte ich auch der Dritter Abſchnitt. ſie aus Nationalparteilichkeit die fremde Quelle, ausder ſie geſchopft hatten, oft zu verbergen wußten, ſol- len wir deshalb blindlings alles als ihr Eigenthum annehmen? Wollen wir vergeſſen, was ſie von Aegyp- tern, Perſern, Indiern ꝛc. gelernt und geborgt haben, und wovon wir in ihrer Religion, in ihrer Philoſopie beſonders die unverkennbarſten Spuren finden? Freilich haben ſie nicht das Studium der Sprachen jener Voͤl- ker zum allgemeinen Gegenſtand ihres Erziehungsunter- richts gemacht: aber das wollen ja auch wir nicht. Nur die gelehrte Bildung ſoll in jedem civiliſirten Staate erhalten und gepflegt werden, und nur die In- dividuen, die durch ihr Talent dazu berufen ſind, den von der Vorwelt uns uͤberlieferten Schatz der allgemei- nen Bildung bewahren zu helfen, ſollen auch die Spra- chen der Vorwelt (und zwar nicht bloß der occidentalen ſondern auch der orientalen) lernen und kennen. Dies iſt auch bei den Griechen nicht verſaͤumt worden, in deren gelehrten Schriften noch Belege genug davon zu finden ſind. Wenn ſie es aber auch verſaͤumt haͤtten, ſo wuͤrde dies noch immer gegen unſre Forderung nichts beweiſen, da unſtreitig ſo Vieles von der aͤlte- ren Cultur durch die Ueberlieferung ſo entſtellt zu uns gelangt iſt, daß wir wenigſtens das Studium der alten Sprachen ſelbſt noch jetzt nicht entbehren koͤnnen, um aus den uns erhaltnen Urkunden uns eine richtigere Vorſtellung von der ganzen alten Welt und ihrer Cul- tur zu verſchaffen. Mit der letzteren Bemerkung koͤnnte ich auch der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0232" n="220"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abſchnitt</hi>.</fw><lb/> ſie aus Nationalparteilichkeit die fremde Quelle, aus<lb/> der ſie geſchopft hatten, oft zu verbergen wußten, ſol-<lb/> len wir deshalb blindlings alles als ihr Eigenthum<lb/> annehmen? Wollen wir vergeſſen, was ſie von Aegyp-<lb/> tern, Perſern, Indiern ꝛc. gelernt und geborgt haben,<lb/> und wovon wir in ihrer Religion, in ihrer Philoſopie<lb/> beſonders die unverkennbarſten Spuren finden? 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Dritter Abſchnitt.
ſie aus Nationalparteilichkeit die fremde Quelle, aus
der ſie geſchopft hatten, oft zu verbergen wußten, ſol-
len wir deshalb blindlings alles als ihr Eigenthum
annehmen? Wollen wir vergeſſen, was ſie von Aegyp-
tern, Perſern, Indiern ꝛc. gelernt und geborgt haben,
und wovon wir in ihrer Religion, in ihrer Philoſopie
beſonders die unverkennbarſten Spuren finden? Freilich
haben ſie nicht das Studium der Sprachen jener Voͤl-
ker zum allgemeinen Gegenſtand ihres Erziehungsunter-
richts gemacht: aber das wollen ja auch wir nicht.
Nur die gelehrte Bildung ſoll in jedem civiliſirten
Staate erhalten und gepflegt werden, und nur die In-
dividuen, die durch ihr Talent dazu berufen ſind, den
von der Vorwelt uns uͤberlieferten Schatz der allgemei-
nen Bildung bewahren zu helfen, ſollen auch die Spra-
chen der Vorwelt (und zwar nicht bloß der occidentalen
ſondern auch der orientalen) lernen und kennen. Dies iſt
auch bei den Griechen nicht verſaͤumt worden, in deren
gelehrten Schriften noch Belege genug davon zu finden
ſind. Wenn ſie es aber auch verſaͤumt haͤtten,
ſo wuͤrde dies noch immer gegen unſre Forderung
nichts beweiſen, da unſtreitig ſo Vieles von der aͤlte-
ren Cultur durch die Ueberlieferung ſo entſtellt zu uns
gelangt iſt, daß wir wenigſtens das Studium der alten
Sprachen ſelbſt noch jetzt nicht entbehren koͤnnen, um
aus den uns erhaltnen Urkunden uns eine richtigere
Vorſtellung von der ganzen alten Welt und ihrer Cul-
tur zu verſchaffen.
Mit der letzteren Bemerkung koͤnnte ich auch der
andern Einwendung begegnen, die das Studium der
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