Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
dium oder die Philologie im engeren Sinne des
Wortes.

Der Philanthropinismus hat dieses Studium als
leeren Wortkram angeklagt, und als Bildungs-
mittel
geradezu verworfen. Denn was er davon als
Nothbehelf noch beibehalten hat, kann weder zur Bil-
dung dienen, noch ist es in dieser Absicht aufgenommen
worden, sondern wird nur noch gelehrt und gelernt,
inwiefern es in irgend einer Beziehung als Erwerb-
mittel
dienen kann. Man hat die Heftigkeit, mit
der gegen jene Maßregel gesprochen worden, einseitig,
eigenliebig, illiberal gefunden: ich gedenke auch nicht
die Heftigkeit, als solche, zu vertheidigen. Aber, wer
die Folgen jener Maßregel in ihrem ganzen Umfang
übersieht, wird nicht verwunderlich finden, daß der
Genius der Menschheit zürnend hervortritt, wenn diese
in Gefahr ist, planmäßig -- wenn auch in der redlich-
sten Absicht -- der Barbarei zugeführt zu werden.

Ich will mich hier nicht darauf berufen, daß es
das erste Gesetz in der Bildung des Menschengeschlech-
tes ist: keinen Punkt einmal errungner Bil-
dung untergehen zu lassen
; und daß man aus
diesem Grunde berechtiget ist zu fordern, daß eine
gründliche Kenntniß von den reichen Schätzen errung-
ner Bildung der großen Nationen der Vorwelt mit
Sorgfalt gepflegt und unterhalten werde. Kein Staat
kann jenen Theil der freien Bildung vernachlässigen,
ohne den Zusammenhang mit der alten Welt zu unter-

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
dium oder die Philologie im engeren Sinne des
Wortes.

Der Philanthropiniſmus hat dieſes Studium als
leeren Wortkram angeklagt, und als Bildungs-
mittel
geradezu verworfen. Denn was er davon als
Nothbehelf noch beibehalten hat, kann weder zur Bil-
dung dienen, noch iſt es in dieſer Abſicht aufgenommen
worden, ſondern wird nur noch gelehrt und gelernt,
inwiefern es in irgend einer Beziehung als Erwerb-
mittel
dienen kann. Man hat die Heftigkeit, mit
der gegen jene Maßregel geſprochen worden, einſeitig,
eigenliebig, illiberal gefunden: ich gedenke auch nicht
die Heftigkeit, als ſolche, zu vertheidigen. Aber, wer
die Folgen jener Maßregel in ihrem ganzen Umfang
uͤberſieht, wird nicht verwunderlich finden, daß der
Genius der Menſchheit zuͤrnend hervortritt, wenn dieſe
in Gefahr iſt, planmaͤßig — wenn auch in der redlich-
ſten Abſicht — der Barbarei zugefuͤhrt zu werden.

Ich will mich hier nicht darauf berufen, daß es
das erſte Geſetz in der Bildung des Menſchengeſchlech-
tes iſt: keinen Punkt einmal errungner Bil-
dung untergehen zu laſſen
; und daß man aus
dieſem Grunde berechtiget iſt zu fordern, daß eine
gruͤndliche Kenntniß von den reichen Schaͤtzen errung-
ner Bildung der großen Nationen der Vorwelt mit
Sorgfalt gepflegt und unterhalten werde. Kein Staat
kann jenen Theil der freien Bildung vernachlaͤſſigen,
ohne den Zuſammenhang mit der alten Welt zu unter-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0229" n="217"/><fw place="top" type="header">Von d. Grund&#x017F;. d. Erziehungsunterr. im Allgem.</fw><lb/><hi rendition="#g">dium</hi> oder die <hi rendition="#g">Philologie</hi> im engeren Sinne des<lb/>
Wortes.</p><lb/>
                    <p>Der Philanthropini&#x017F;mus hat die&#x017F;es Studium als<lb/><hi rendition="#g">leeren Wortkram</hi> angeklagt, und als <hi rendition="#g">Bildungs-<lb/>
mittel</hi> geradezu verworfen. Denn was er davon als<lb/>
Nothbehelf noch beibehalten hat, kann weder zur Bil-<lb/>
dung dienen, noch i&#x017F;t es in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht aufgenommen<lb/>
worden, &#x017F;ondern wird nur noch gelehrt und gelernt,<lb/>
inwiefern es in irgend einer Beziehung als <hi rendition="#g">Erwerb-<lb/>
mittel</hi> dienen kann. Man hat die Heftigkeit, mit<lb/>
der gegen jene Maßregel ge&#x017F;prochen worden, ein&#x017F;eitig,<lb/>
eigenliebig, illiberal gefunden: ich gedenke auch nicht<lb/>
die Heftigkeit, als &#x017F;olche, zu vertheidigen. Aber, wer<lb/>
die Folgen jener Maßregel in ihrem ganzen Umfang<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;ieht, wird nicht verwunderlich finden, daß der<lb/>
Genius der Men&#x017F;chheit zu&#x0364;rnend hervortritt, wenn die&#x017F;e<lb/>
in Gefahr i&#x017F;t, planma&#x0364;ßig &#x2014; wenn auch in der redlich-<lb/>
&#x017F;ten Ab&#x017F;icht &#x2014; der Barbarei zugefu&#x0364;hrt zu werden.</p><lb/>
                    <p>Ich will mich hier nicht darauf berufen, daß es<lb/>
das er&#x017F;te Ge&#x017F;etz in der Bildung des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlech-<lb/>
tes i&#x017F;t: <hi rendition="#g">keinen Punkt einmal errungner Bil-<lb/>
dung untergehen zu la&#x017F;&#x017F;en</hi>; und daß man aus<lb/>
die&#x017F;em Grunde berechtiget i&#x017F;t zu fordern, daß eine<lb/>
gru&#x0364;ndliche Kenntniß von den reichen Scha&#x0364;tzen errung-<lb/>
ner Bildung der großen Nationen der Vorwelt mit<lb/>
Sorgfalt gepflegt und unterhalten werde. Kein Staat<lb/>
kann jenen Theil der freien Bildung vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen,<lb/>
ohne den Zu&#x017F;ammenhang mit der alten Welt zu unter-<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0229] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. dium oder die Philologie im engeren Sinne des Wortes. Der Philanthropiniſmus hat dieſes Studium als leeren Wortkram angeklagt, und als Bildungs- mittel geradezu verworfen. Denn was er davon als Nothbehelf noch beibehalten hat, kann weder zur Bil- dung dienen, noch iſt es in dieſer Abſicht aufgenommen worden, ſondern wird nur noch gelehrt und gelernt, inwiefern es in irgend einer Beziehung als Erwerb- mittel dienen kann. Man hat die Heftigkeit, mit der gegen jene Maßregel geſprochen worden, einſeitig, eigenliebig, illiberal gefunden: ich gedenke auch nicht die Heftigkeit, als ſolche, zu vertheidigen. Aber, wer die Folgen jener Maßregel in ihrem ganzen Umfang uͤberſieht, wird nicht verwunderlich finden, daß der Genius der Menſchheit zuͤrnend hervortritt, wenn dieſe in Gefahr iſt, planmaͤßig — wenn auch in der redlich- ſten Abſicht — der Barbarei zugefuͤhrt zu werden. Ich will mich hier nicht darauf berufen, daß es das erſte Geſetz in der Bildung des Menſchengeſchlech- tes iſt: keinen Punkt einmal errungner Bil- dung untergehen zu laſſen; und daß man aus dieſem Grunde berechtiget iſt zu fordern, daß eine gruͤndliche Kenntniß von den reichen Schaͤtzen errung- ner Bildung der großen Nationen der Vorwelt mit Sorgfalt gepflegt und unterhalten werde. Kein Staat kann jenen Theil der freien Bildung vernachlaͤſſigen, ohne den Zuſammenhang mit der alten Welt zu unter-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/229
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/229>, abgerufen am 04.12.2024.