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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Dritter Abschnitt.
Ideal der Menschheit in dem Individuum vor
Augen hat. Sofern der Unterricht bloß darauf gerich-
tet ist, Bewußtseyn und Erkenntniß der Vernunft
in dem Lehrling zu erwecken, ist er zwar allerdings
Menschenbildung, und verdient mit Recht diesen
ehrwürdigen Namen, weil die Vernunft das Grund-
merkmal der Menschheit ist. Aber, so wenig die
Vernunft der ganze Mensch ist, so wenig kann
jene Vernunftbildung für die ganze Men-
schenbildung
gelten. Der ganze Mensch ist die
mit den mannichfaltigsten Anlagen und Kräften zu
Einem wunderbaren Ganzen vereinigte Vernunft:
die vollendete allseitige und harmonische Ausbildung
dieses Einen Ganzen ist das Ideal der Menschheit,
dem wir den alten oft verkannten ehrwürdigen Namen
der Humanität mit Recht erhalten. Sofern der
Unterricht darauf gerichtet ist, diese Forderung des
Ideals der Menschheit in den Lehrlingen, so weit es
möglich ist, zu realisiren, ist er höhere Menschen-
bildung
, und kann nicht treffender als mit dem
Namen der Humanitätsbildung in dem be-
deutungsvollsten Sinne dieses Wortes bezeichnet werden.
Sonach theilt sich die Menschenbildung über-
haupt
in Vernunftbildung und Humani-
tätsbildung
, oder -- nach einer anderen An-
sicht -- in nothwendige und freie Menschen-
bildung
: die Vernunftbildung als nothwen-
dig
, inwiefern sie als Bedingung der Menschheit nicht
nur von allen Individuen, die menschliches Antlitz
tragen, ohne Ausnahme gefordert wird, sondern auch

Dritter Abſchnitt.
Ideal der Menſchheit in dem Individuum vor
Augen hat. Sofern der Unterricht bloß darauf gerich-
tet iſt, Bewußtſeyn und Erkenntniß der Vernunft
in dem Lehrling zu erwecken, iſt er zwar allerdings
Menſchenbildung, und verdient mit Recht dieſen
ehrwuͤrdigen Namen, weil die Vernunft das Grund-
merkmal der Menſchheit iſt. Aber, ſo wenig die
Vernunft der ganze Menſch iſt, ſo wenig kann
jene Vernunftbildung fuͤr die ganze Men-
ſchenbildung
gelten. Der ganze Menſch iſt die
mit den mannichfaltigſten Anlagen und Kraͤften zu
Einem wunderbaren Ganzen vereinigte Vernunft:
die vollendete allſeitige und harmoniſche Ausbildung
dieſes Einen Ganzen iſt das Ideal der Menſchheit,
dem wir den alten oft verkannten ehrwuͤrdigen Namen
der Humanitaͤt mit Recht erhalten. Sofern der
Unterricht darauf gerichtet iſt, dieſe Forderung des
Ideals der Menſchheit in den Lehrlingen, ſo weit es
moͤglich iſt, zu realiſiren, iſt er hoͤhere Menſchen-
bildung
, und kann nicht treffender als mit dem
Namen der Humanitaͤtsbildung in dem be-
deutungsvollſten Sinne dieſes Wortes bezeichnet werden.
Sonach theilt ſich die Menſchenbildung uͤber-
haupt
in Vernunftbildung und Humani-
taͤtsbildung
, oder — nach einer anderen An-
ſicht — in nothwendige und freie Menſchen-
bildung
: die Vernunftbildung als nothwen-
dig
, inwiefern ſie als Bedingung der Menſchheit nicht
nur von allen Individuen, die menſchliches Antlitz
tragen, ohne Ausnahme gefordert wird, ſondern auch

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[190/0202] Dritter Abſchnitt. Ideal der Menſchheit in dem Individuum vor Augen hat. Sofern der Unterricht bloß darauf gerich- tet iſt, Bewußtſeyn und Erkenntniß der Vernunft in dem Lehrling zu erwecken, iſt er zwar allerdings Menſchenbildung, und verdient mit Recht dieſen ehrwuͤrdigen Namen, weil die Vernunft das Grund- merkmal der Menſchheit iſt. Aber, ſo wenig die Vernunft der ganze Menſch iſt, ſo wenig kann jene Vernunftbildung fuͤr die ganze Men- ſchenbildung gelten. Der ganze Menſch iſt die mit den mannichfaltigſten Anlagen und Kraͤften zu Einem wunderbaren Ganzen vereinigte Vernunft: die vollendete allſeitige und harmoniſche Ausbildung dieſes Einen Ganzen iſt das Ideal der Menſchheit, dem wir den alten oft verkannten ehrwuͤrdigen Namen der Humanitaͤt mit Recht erhalten. Sofern der Unterricht darauf gerichtet iſt, dieſe Forderung des Ideals der Menſchheit in den Lehrlingen, ſo weit es moͤglich iſt, zu realiſiren, iſt er hoͤhere Menſchen- bildung, und kann nicht treffender als mit dem Namen der Humanitaͤtsbildung in dem be- deutungsvollſten Sinne dieſes Wortes bezeichnet werden. Sonach theilt ſich die Menſchenbildung uͤber- haupt in Vernunftbildung und Humani- taͤtsbildung, oder — nach einer anderen An- ſicht — in nothwendige und freie Menſchen- bildung: die Vernunftbildung als nothwen- dig, inwiefern ſie als Bedingung der Menſchheit nicht nur von allen Individuen, die menſchliches Antlitz tragen, ohne Ausnahme gefordert wird, ſondern auch

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/202>, abgerufen am 24.11.2024.