Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
Bildung der Menschheit in dem Individuum. Da-
durch ist der Gegensatz gegen Berufsbildung aller-
dings insofern schon näher bezeichnet, als bei der letz-
tern eine Rücksicht auf die mannichfaltigste Verschieden-
heit der Geschäfte und der dazu erforderlichen Kenntnisse
und Fertigkeiten nothwendig eintritt. Doch ist dies
eigentlich nur eine negative Bestimmung dieses Gegen-
satzes, und insbesondre der Unterschied zwischen Men-
schenbildung
und gelehrter Bildung läßt sich
daraus keinesweges befriedigend darthun. Außerdem
aber ist jene allgemeine Bestimmung des Begriffes von
Menschenbildung auch an sich unzureichend, den
Begriff zu erschöpfen.

Fragt man aber näher: worinn besteht die Bil-
dung
des Menschen als Menschen, oder die Bil-
dung der Menschheit in dem Individuum? so läßt
sich leicht erkennen, daß man abermals auf den Begriff
der Menschheit, als das Grundprincip, zurückge-
führt wird, und daß die Schwierigkeit, diesen letztern
Begriff bestimmt zu fassen, und die entgegengesetzten
Ansichten, aus welchen er wirklich gefaßt wird, den
Hauptgrund enthalten, warum der Begriff der Men-
schenbildung
theils so unbestimmt, theils so verschie-
den verstanden wird. Gehen wir nun auf jenen Grund-
begriff mit unsrer Frage zurück, so ist ohne Zweifel
das Erste, was wir am wenigsten übersehen dürfen,
das unbedingte Merkmal der Menschheit, die Ver-
nunft
, die den wesentlichen Unterschied des Men-
schen
von dem Thiere begründet, und bei aller Ver-

Dritter Abſchnitt.
Bildung der Menſchheit in dem Individuum. Da-
durch iſt der Gegenſatz gegen Berufsbildung aller-
dings inſofern ſchon naͤher bezeichnet, als bei der letz-
tern eine Ruͤckſicht auf die mannichfaltigſte Verſchieden-
heit der Geſchaͤfte und der dazu erforderlichen Kenntniſſe
und Fertigkeiten nothwendig eintritt. Doch iſt dies
eigentlich nur eine negative Beſtimmung dieſes Gegen-
ſatzes, und insbeſondre der Unterſchied zwiſchen Men-
ſchenbildung
und gelehrter Bildung laͤßt ſich
daraus keinesweges befriedigend darthun. Außerdem
aber iſt jene allgemeine Beſtimmung des Begriffes von
Menſchenbildung auch an ſich unzureichend, den
Begriff zu erſchoͤpfen.

Fragt man aber naͤher: worinn beſteht die Bil-
dung
des Menſchen als Menſchen, oder die Bil-
dung der Menſchheit in dem Individuum? ſo laͤßt
ſich leicht erkennen, daß man abermals auf den Begriff
der Menſchheit, als das Grundprincip, zuruͤckge-
fuͤhrt wird, und daß die Schwierigkeit, dieſen letztern
Begriff beſtimmt zu faſſen, und die entgegengeſetzten
Anſichten, aus welchen er wirklich gefaßt wird, den
Hauptgrund enthalten, warum der Begriff der Men-
ſchenbildung
theils ſo unbeſtimmt, theils ſo verſchie-
den verſtanden wird. Gehen wir nun auf jenen Grund-
begriff mit unſrer Frage zuruͤck, ſo iſt ohne Zweifel
das Erſte, was wir am wenigſten uͤberſehen duͤrfen,
das unbedingte Merkmal der Menſchheit, die Ver-
nunft
, die den weſentlichen Unterſchied des Men-
ſchen
von dem Thiere begruͤndet, und bei aller Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0196" n="184"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Ab&#x017F;chnitt</hi>.</fw><lb/>
Bildung der <hi rendition="#g">Men&#x017F;chheit</hi> in dem Individuum. Da-<lb/>
durch i&#x017F;t der Gegen&#x017F;atz gegen <hi rendition="#g">Berufsbildung</hi> aller-<lb/>
dings in&#x017F;ofern &#x017F;chon na&#x0364;her bezeichnet, als bei der letz-<lb/>
tern eine Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die mannichfaltig&#x017F;te Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heit der Ge&#x017F;cha&#x0364;fte und der dazu erforderlichen Kenntni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Fertigkeiten nothwendig eintritt. Doch i&#x017F;t dies<lb/>
eigentlich nur eine negative Be&#x017F;timmung die&#x017F;es Gegen-<lb/>
&#x017F;atzes, und insbe&#x017F;ondre der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Men-<lb/>
&#x017F;chenbildung</hi> und <hi rendition="#g">gelehrter Bildung</hi> la&#x0364;ßt &#x017F;ich<lb/>
daraus keinesweges befriedigend darthun. Außerdem<lb/>
aber i&#x017F;t jene allgemeine Be&#x017F;timmung des Begriffes von<lb/><hi rendition="#g">Men&#x017F;chenbildung</hi> auch an &#x017F;ich unzureichend, den<lb/>
Begriff zu er&#x017F;cho&#x0364;pfen.</p><lb/>
                  <p>Fragt man aber na&#x0364;her: worinn be&#x017F;teht die <hi rendition="#g">Bil-<lb/>
dung</hi> des Men&#x017F;chen als <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi>, oder die Bil-<lb/>
dung der <hi rendition="#g">Men&#x017F;chheit</hi> in dem Individuum? &#x017F;o la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich leicht erkennen, daß man abermals auf den Begriff<lb/>
der <hi rendition="#g">Men&#x017F;chheit</hi>, als das Grundprincip, zuru&#x0364;ckge-<lb/>
fu&#x0364;hrt wird, und daß die Schwierigkeit, die&#x017F;en letztern<lb/>
Begriff be&#x017F;timmt zu fa&#x017F;&#x017F;en, und die entgegenge&#x017F;etzten<lb/>
An&#x017F;ichten, aus welchen er wirklich gefaßt wird, den<lb/>
Hauptgrund enthalten, warum der Begriff der <hi rendition="#g">Men-<lb/>
&#x017F;chenbildung</hi> theils &#x017F;o unbe&#x017F;timmt, theils &#x017F;o ver&#x017F;chie-<lb/>
den ver&#x017F;tanden wird. Gehen wir nun auf jenen Grund-<lb/>
begriff mit un&#x017F;rer Frage zuru&#x0364;ck, &#x017F;o i&#x017F;t ohne Zweifel<lb/>
das Er&#x017F;te, was wir am wenig&#x017F;ten u&#x0364;ber&#x017F;ehen du&#x0364;rfen,<lb/>
das unbedingte Merkmal der <hi rendition="#g">Men&#x017F;chheit</hi>, die <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
nunft</hi>, die den we&#x017F;entlichen Unter&#x017F;chied des <hi rendition="#g">Men-<lb/>
&#x017F;chen</hi> von dem <hi rendition="#g">Thiere</hi> begru&#x0364;ndet, und bei aller Ver-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0196] Dritter Abſchnitt. Bildung der Menſchheit in dem Individuum. Da- durch iſt der Gegenſatz gegen Berufsbildung aller- dings inſofern ſchon naͤher bezeichnet, als bei der letz- tern eine Ruͤckſicht auf die mannichfaltigſte Verſchieden- heit der Geſchaͤfte und der dazu erforderlichen Kenntniſſe und Fertigkeiten nothwendig eintritt. Doch iſt dies eigentlich nur eine negative Beſtimmung dieſes Gegen- ſatzes, und insbeſondre der Unterſchied zwiſchen Men- ſchenbildung und gelehrter Bildung laͤßt ſich daraus keinesweges befriedigend darthun. Außerdem aber iſt jene allgemeine Beſtimmung des Begriffes von Menſchenbildung auch an ſich unzureichend, den Begriff zu erſchoͤpfen. Fragt man aber naͤher: worinn beſteht die Bil- dung des Menſchen als Menſchen, oder die Bil- dung der Menſchheit in dem Individuum? ſo laͤßt ſich leicht erkennen, daß man abermals auf den Begriff der Menſchheit, als das Grundprincip, zuruͤckge- fuͤhrt wird, und daß die Schwierigkeit, dieſen letztern Begriff beſtimmt zu faſſen, und die entgegengeſetzten Anſichten, aus welchen er wirklich gefaßt wird, den Hauptgrund enthalten, warum der Begriff der Men- ſchenbildung theils ſo unbeſtimmt, theils ſo verſchie- den verſtanden wird. Gehen wir nun auf jenen Grund- begriff mit unſrer Frage zuruͤck, ſo iſt ohne Zweifel das Erſte, was wir am wenigſten uͤberſehen duͤrfen, das unbedingte Merkmal der Menſchheit, die Ver- nunft, die den weſentlichen Unterſchied des Men- ſchen von dem Thiere begruͤndet, und bei aller Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/196
Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/196>, abgerufen am 24.11.2024.