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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
uns mit unsrem eignen Papier? So weit haben wir
uns mit unserm falschen Ideal von Bildung, und mit
unsrer Sucht des Wissens verirrt. Wir sind alle,
Männer und Frauen, so gelehrt und so allwissend
geworden, daß kein Austausch von Ideen mehr zwi-
schen uns statt findet, das Keiner mehr von irgend
etwas reden kann, wovon die Andern nicht wenigstens
die Miene annehmen, eben so viel oder noch mehr zu
wissen. Ein solches Uebermaß von Pedantismus haben
wir erzeugt, das Uebel überall verbreitet, das wirk-
samste Gegenmittel selbst zerstört, und so die Krankheit
fast unheilbar gemacht.

Ueberdies ist jener Aufwand weder erforderlich
noch vermögend, dem Uebel zu begegnen. Der e[i]gent-
liche Pedantismus in dem Wissen, und die daraus
entspringende Einseitigkeit der Kenntniß und der Bildung,
worüber man mit Recht klagte, kam nicht von der
Beschränkung auf wenige Gegenstände des Wissens,
sondern davon her, daß man theils das Erlernen der
wenigen Gegenstände selbst einseitig betrieben, theils an
den Zusammenhang derselben mit dem großen Ganzen
der Erkenntniß gar nicht gedacht hat. Dieser offenbare
Mißbrauch durfte allerdings nicht bleiben, und es ist
ein unläugbares Verdienst der modernen Cultur, daß
sie darauf aufmerksam gemacht und auf eine gründliche
Reform desselben gedrungen hat. Allein sie hat sich
in dem Mittel dagegen vergriffen. Es ist weder eine
den Kräften des Idividuums unangemessene Ausdeh-
nung über das gesammte Gebiet des Wissens, noch

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
uns mit unſrem eignen Papier? So weit haben wir
uns mit unſerm falſchen Ideal von Bildung, und mit
unſrer Sucht des Wiſſens verirrt. Wir ſind alle,
Maͤnner und Frauen, ſo gelehrt und ſo allwiſſend
geworden, daß kein Austauſch von Ideen mehr zwi-
ſchen uns ſtatt findet, das Keiner mehr von irgend
etwas reden kann, wovon die Andern nicht wenigſtens
die Miene annehmen, eben ſo viel oder noch mehr zu
wiſſen. Ein ſolches Uebermaß von Pedantiſmus haben
wir erzeugt, das Uebel uͤberall verbreitet, das wirk-
ſamſte Gegenmittel ſelbſt zerſtoͤrt, und ſo die Krankheit
faſt unheilbar gemacht.

Ueberdies iſt jener Aufwand weder erforderlich
noch vermoͤgend, dem Uebel zu begegnen. Der e[i]gent-
liche Pedantiſmus in dem Wiſſen, und die daraus
entſpringende Einſeitigkeit der Kenntniß und der Bildung,
woruͤber man mit Recht klagte, kam nicht von der
Beſchraͤnkung auf wenige Gegenſtaͤnde des Wiſſens,
ſondern davon her, daß man theils das Erlernen der
wenigen Gegenſtaͤnde ſelbſt einſeitig betrieben, theils an
den Zuſammenhang derſelben mit dem großen Ganzen
der Erkenntniß gar nicht gedacht hat. Dieſer offenbare
Mißbrauch durfte allerdings nicht bleiben, und es iſt
ein unlaͤugbares Verdienſt der modernen Cultur, daß
ſie darauf aufmerkſam gemacht und auf eine gruͤndliche
Reform deſſelben gedrungen hat. Allein ſie hat ſich
in dem Mittel dagegen vergriffen. Es iſt weder eine
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nung uͤber das geſammte Gebiet des Wiſſens, noch

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[149/0161] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. uns mit unſrem eignen Papier? So weit haben wir uns mit unſerm falſchen Ideal von Bildung, und mit unſrer Sucht des Wiſſens verirrt. Wir ſind alle, Maͤnner und Frauen, ſo gelehrt und ſo allwiſſend geworden, daß kein Austauſch von Ideen mehr zwi- ſchen uns ſtatt findet, das Keiner mehr von irgend etwas reden kann, wovon die Andern nicht wenigſtens die Miene annehmen, eben ſo viel oder noch mehr zu wiſſen. Ein ſolches Uebermaß von Pedantiſmus haben wir erzeugt, das Uebel uͤberall verbreitet, das wirk- ſamſte Gegenmittel ſelbſt zerſtoͤrt, und ſo die Krankheit faſt unheilbar gemacht. Ueberdies iſt jener Aufwand weder erforderlich noch vermoͤgend, dem Uebel zu begegnen. Der eigent- liche Pedantiſmus in dem Wiſſen, und die daraus entſpringende Einſeitigkeit der Kenntniß und der Bildung, woruͤber man mit Recht klagte, kam nicht von der Beſchraͤnkung auf wenige Gegenſtaͤnde des Wiſſens, ſondern davon her, daß man theils das Erlernen der wenigen Gegenſtaͤnde ſelbſt einſeitig betrieben, theils an den Zuſammenhang derſelben mit dem großen Ganzen der Erkenntniß gar nicht gedacht hat. Dieſer offenbare Mißbrauch durfte allerdings nicht bleiben, und es iſt ein unlaͤugbares Verdienſt der modernen Cultur, daß ſie darauf aufmerkſam gemacht und auf eine gruͤndliche Reform deſſelben gedrungen hat. Allein ſie hat ſich in dem Mittel dagegen vergriffen. Es iſt weder eine den Kraͤften des Idividuums unangemeſſene Ausdeh- nung uͤber das geſammte Gebiet des Wiſſens, noch

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/161>, abgerufen am 24.11.2024.