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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Dritter Abschnitt.
dem Menschen als animalem Wesen) herrühre, alle
Erlernung geistiger Gegenstände ganz auszu-
schließen, und auf contemplatives Wissen gar
keine Rücksicht zu nehmen.

Allein von dergleichen Reconciliatoren, denen ein
Extrem soviel gilt als das andre, indem sie in einer
beliebigen Zusammenmischung das eine durch das andere
so lange modificiren, bis sie beide wie identisch aussehen,
kann hier eben so wenig im Ernst die Rede seyn, als
von jenen Praktikern, die mehr der Mode wegen, als
aus innrer Ueberzeugung, hier ein wenig dem Humanis-
mus und dort ein wenig dem Philanthropinismus
huldigen, und bloß nach Gutdünken bald von diesem
bald von jenem eine beliebige Dosis gebrauchen. Die
Rede kann vielmehr nur davon seyn, das Princip
aufzustellen, nach welchem die vorgeschlagne, theilweise
vorzunehmende, Vereinigung der entgegengesetzten For-
derungen bestimmt, und festgesetzt werden soll, wie-
viel
von jedem der beiden Extreme in den Umkreis
des Erziehungsunterrichts aufzunehmen sey.

Bei dem Versuche aber, ein solches Princip
aufzustellen, zeigt sich sogleich, daß man auf den ent-
ferntern strengen Gegensatz der beiden Unterrichtssysteme
zurückgeführt wird; denn der eigentliche Streitpunkt
betrifft nicht sowohl die Beiordnung als vielmehr
die Unterordnung beider Extreme. In der Bei-
ordnung beider, wenn das Materielle für eben so
wichtig gilt als das Geistige, und umgekehrt das

Dritter Abſchnitt.
dem Menſchen als animalem Weſen) herruͤhre, alle
Erlernung geiſtiger Gegenſtaͤnde ganz auszu-
ſchließen, und auf contemplatives Wiſſen gar
keine Ruͤckſicht zu nehmen.

Allein von dergleichen Reconciliatoren, denen ein
Extrem ſoviel gilt als das andre, indem ſie in einer
beliebigen Zuſammenmiſchung das eine durch das andere
ſo lange modificiren, bis ſie beide wie identiſch ausſehen,
kann hier eben ſo wenig im Ernſt die Rede ſeyn, als
von jenen Praktikern, die mehr der Mode wegen, als
aus innrer Ueberzeugung, hier ein wenig dem Humaniſ-
mus und dort ein wenig dem Philanthropiniſmus
huldigen, und bloß nach Gutduͤnken bald von dieſem
bald von jenem eine beliebige Doſis gebrauchen. Die
Rede kann vielmehr nur davon ſeyn, das Princip
aufzuſtellen, nach welchem die vorgeſchlagne, theilweiſe
vorzunehmende, Vereinigung der entgegengeſetzten For-
derungen beſtimmt, und feſtgeſetzt werden ſoll, wie-
viel
von jedem der beiden Extreme in den Umkreis
des Erziehungsunterrichts aufzunehmen ſey.

Bei dem Verſuche aber, ein ſolches Princip
aufzuſtellen, zeigt ſich ſogleich, daß man auf den ent-
ferntern ſtrengen Gegenſatz der beiden Unterrichtsſyſteme
zuruͤckgefuͤhrt wird; denn der eigentliche Streitpunkt
betrifft nicht ſowohl die Beiordnung als vielmehr
die Unterordnung beider Extreme. In der Bei-
ordnung beider, wenn das Materielle fuͤr eben ſo
wichtig gilt als das Geiſtige, und umgekehrt das

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[112/0124] Dritter Abſchnitt. dem Menſchen als animalem Weſen) herruͤhre, alle Erlernung geiſtiger Gegenſtaͤnde ganz auszu- ſchließen, und auf contemplatives Wiſſen gar keine Ruͤckſicht zu nehmen. Allein von dergleichen Reconciliatoren, denen ein Extrem ſoviel gilt als das andre, indem ſie in einer beliebigen Zuſammenmiſchung das eine durch das andere ſo lange modificiren, bis ſie beide wie identiſch ausſehen, kann hier eben ſo wenig im Ernſt die Rede ſeyn, als von jenen Praktikern, die mehr der Mode wegen, als aus innrer Ueberzeugung, hier ein wenig dem Humaniſ- mus und dort ein wenig dem Philanthropiniſmus huldigen, und bloß nach Gutduͤnken bald von dieſem bald von jenem eine beliebige Doſis gebrauchen. Die Rede kann vielmehr nur davon ſeyn, das Princip aufzuſtellen, nach welchem die vorgeſchlagne, theilweiſe vorzunehmende, Vereinigung der entgegengeſetzten For- derungen beſtimmt, und feſtgeſetzt werden ſoll, wie- viel von jedem der beiden Extreme in den Umkreis des Erziehungsunterrichts aufzunehmen ſey. Bei dem Verſuche aber, ein ſolches Princip aufzuſtellen, zeigt ſich ſogleich, daß man auf den ent- ferntern ſtrengen Gegenſatz der beiden Unterrichtsſyſteme zuruͤckgefuͤhrt wird; denn der eigentliche Streitpunkt betrifft nicht ſowohl die Beiordnung als vielmehr die Unterordnung beider Extreme. In der Bei- ordnung beider, wenn das Materielle fuͤr eben ſo wichtig gilt als das Geiſtige, und umgekehrt das

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/124>, abgerufen am 26.11.2024.