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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808.

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Von d. Grunds. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
des Predigers in der Wüsten, weil man auf gleiche
Denkart da und dort schon rechnen darf.

Aber ich kann eure Besorgniß von dem Grundsatz
des Humanismus, daß er die Lehrlinge für die Welt
und das praktische Leben verbilde, euch noch von einer
andern Seite her als übertrieben und ungegründet
zeigen.

Fürs erste, wer für das Unbedingte gebildet ist,
der ist allein eigentlich gebildet, und bringt Bildung
auch zum Bedingten mit. Wer eine andere Realität,
als die der Erde, kennen, und eine höhere Bestimmung
dieser Welt und seines Lebens glauben gelernt hat, für
einen solchen hat dieses Leben einen ganz andern Ernst,
als den der Noth! Der letztere allein macht kleinlich
und gemein, der erstere erhebt den Menschen: den letz-
tern aber allein kennt der, der bloß für das Bedingte
gebildet wird, und ihm ist alles Spielerei, wo nicht
die Noth mit ihrem Ernste ihm entgegentritt. Mit
einem weit edleren Sinne nimmt jener das Leben, als
dieser. Ein Gemüth, erhoben zum Himmel durch Re-
ligion, erblickt selbst die Erde in einem himmlischen
Lichte; während ein Gemüth, versunken in irdischem
Treiben und Thun, selbst für den Himmel nur einen
irdischen Blick behält. Jener treibt sein irdisches Ge-
schäft mit der Begeisterung, die nur aus dem Glauben
an das Göttliche kömmt, und erträgt das Unglück mit
der Resignation, die nur der Glaube an ein höheres
Daseyn giebt; während der Andre für sein irdisches

Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
des Predigers in der Wuͤſten, weil man auf gleiche
Denkart da und dort ſchon rechnen darf.

Aber ich kann eure Beſorgniß von dem Grundſatz
des Humaniſmus, daß er die Lehrlinge fuͤr die Welt
und das praktiſche Leben verbilde, euch noch von einer
andern Seite her als uͤbertrieben und ungegruͤndet
zeigen.

Fuͤrs erſte, wer fuͤr das Unbedingte gebildet iſt,
der iſt allein eigentlich gebildet, und bringt Bildung
auch zum Bedingten mit. Wer eine andere Realitaͤt,
als die der Erde, kennen, und eine hoͤhere Beſtimmung
dieſer Welt und ſeines Lebens glauben gelernt hat, fuͤr
einen ſolchen hat dieſes Leben einen ganz andern Ernſt,
als den der Noth! Der letztere allein macht kleinlich
und gemein, der erſtere erhebt den Menſchen: den letz-
tern aber allein kennt der, der bloß fuͤr das Bedingte
gebildet wird, und ihm iſt alles Spielerei, wo nicht
die Noth mit ihrem Ernſte ihm entgegentritt. Mit
einem weit edleren Sinne nimmt jener das Leben, als
dieſer. Ein Gemuͤth, erhoben zum Himmel durch Re-
ligion, erblickt ſelbſt die Erde in einem himmliſchen
Lichte; waͤhrend ein Gemuͤth, verſunken in irdiſchem
Treiben und Thun, ſelbſt fuͤr den Himmel nur einen
irdiſchen Blick behaͤlt. Jener treibt ſein irdiſches Ge-
ſchaͤft mit der Begeiſterung, die nur aus dem Glauben
an das Goͤttliche koͤmmt, und ertraͤgt das Ungluͤck mit
der Reſignation, die nur der Glaube an ein hoͤheres
Daſeyn giebt; waͤhrend der Andre fuͤr ſein irdiſches

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[101/0113] Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem. des Predigers in der Wuͤſten, weil man auf gleiche Denkart da und dort ſchon rechnen darf. Aber ich kann eure Beſorgniß von dem Grundſatz des Humaniſmus, daß er die Lehrlinge fuͤr die Welt und das praktiſche Leben verbilde, euch noch von einer andern Seite her als uͤbertrieben und ungegruͤndet zeigen. Fuͤrs erſte, wer fuͤr das Unbedingte gebildet iſt, der iſt allein eigentlich gebildet, und bringt Bildung auch zum Bedingten mit. Wer eine andere Realitaͤt, als die der Erde, kennen, und eine hoͤhere Beſtimmung dieſer Welt und ſeines Lebens glauben gelernt hat, fuͤr einen ſolchen hat dieſes Leben einen ganz andern Ernſt, als den der Noth! Der letztere allein macht kleinlich und gemein, der erſtere erhebt den Menſchen: den letz- tern aber allein kennt der, der bloß fuͤr das Bedingte gebildet wird, und ihm iſt alles Spielerei, wo nicht die Noth mit ihrem Ernſte ihm entgegentritt. Mit einem weit edleren Sinne nimmt jener das Leben, als dieſer. Ein Gemuͤth, erhoben zum Himmel durch Re- ligion, erblickt ſelbſt die Erde in einem himmliſchen Lichte; waͤhrend ein Gemuͤth, verſunken in irdiſchem Treiben und Thun, ſelbſt fuͤr den Himmel nur einen irdiſchen Blick behaͤlt. Jener treibt ſein irdiſches Ge- ſchaͤft mit der Begeiſterung, die nur aus dem Glauben an das Goͤttliche koͤmmt, und ertraͤgt das Ungluͤck mit der Reſignation, die nur der Glaube an ein hoͤheres Daſeyn giebt; waͤhrend der Andre fuͤr ſein irdiſches

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Zitationshilfe: Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/113>, abgerufen am 25.11.2024.