wie viel er leisten kann, auf der einen, und, werfen wir einen Blick von dem hohen Bilde auf uns und die Meuschen um uns, wie wenig er würklich lei- stet -- auf der andern Seite! Da können wir unsre Größe und unsre Kleinheit, mehr als sonst irgendwo, kennen lernen, und das müßte, denk ich, eine Be- schäfftigung seyn, die wohl eines Festes, wie dies ist, würdig wäre.
Wir müssen es alle fühlen, daß die Einschrän- kung unsrer Seele durch ihren irdischen Theil sie nicht wenig in ihrer freyen Thätigkeit, und oft in ihren besten und edelsten Beschreibungen hemmt und aufhält. Klagte doch Paulus selbst über die Last seines Körpers; über die Macht des Fleisches, in dem nichts Gutes wohne; über die Gewalt sinn- licher Begierden, die ihn sogar wider seine Einsicht dahin brächten, das zu wählen, was nicht gut sey, weil es den Sinnen gefiele und im ersten Genuß süß wäre, so unausbleiblich auch das Bittere folgte. Alle unsre Begierden, die am frühsten gereizt wer- den, gehen auf sinnliche Dinge. Die Fähigkeiten, sie zu befriedigen, sind weit eher da, und entwickeln sich viel früher, als die Fähigkeiten unsers Geistes; werden weit eher herrschend als unsre Vernnnft, die jene leiten muß, wenn sie nicht schädlich werden
sollen.
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wie viel er leiſten kann, auf der einen, und, werfen wir einen Blick von dem hohen Bilde auf uns und die Meuſchen um uns, wie wenig er würklich lei- ſtet — auf der andern Seite! Da können wir unſre Größe und unſre Kleinheit, mehr als ſonſt irgendwo, kennen lernen, und das müßte, denk ich, eine Be- ſchäfftigung ſeyn, die wohl eines Feſtes, wie dies iſt, würdig wäre.
Wir müſſen es alle fühlen, daß die Einſchrän- kung unſrer Seele durch ihren irdiſchen Theil ſie nicht wenig in ihrer freyen Thätigkeit, und oft in ihren beſten und edelſten Beſchreibungen hemmt und aufhält. Klagte doch Paulus ſelbſt über die Laſt ſeines Körpers; über die Macht des Fleiſches, in dem nichts Gutes wohne; über die Gewalt ſinn- licher Begierden, die ihn ſogar wider ſeine Einſicht dahin brächten, das zu wählen, was nicht gut ſey, weil es den Sinnen gefiele und im erſten Genuß ſüß wäre, ſo unausbleiblich auch das Bittere folgte. Alle unſre Begierden, die am frühſten gereizt wer- den, gehen auf ſinnliche Dinge. Die Fähigkeiten, ſie zu befriedigen, ſind weit eher da, und entwickeln ſich viel früher, als die Fähigkeiten unſers Geiſtes; werden weit eher herrſchend als unſre Vernnnft, die jene leiten muß, wenn ſie nicht ſchädlich werden
ſollen.
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[83[95]/0099]
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ſtet — auf der andern Seite! Da können wir unſre
Größe und unſre Kleinheit, mehr als ſonſt irgendwo,
kennen lernen, und das müßte, denk ich, eine Be-
ſchäfftigung ſeyn, die wohl eines Feſtes, wie dies iſt,
würdig wäre.
Wir müſſen es alle fühlen, daß die Einſchrän-
kung unſrer Seele durch ihren irdiſchen Theil ſie
nicht wenig in ihrer freyen Thätigkeit, und oft in
ihren beſten und edelſten Beſchreibungen hemmt und
aufhält. Klagte doch Paulus ſelbſt über die Laſt
ſeines Körpers; über die Macht des Fleiſches, in
dem nichts Gutes wohne; über die Gewalt ſinn-
licher Begierden, die ihn ſogar wider ſeine Einſicht
dahin brächten, das zu wählen, was nicht gut ſey,
weil es den Sinnen gefiele und im erſten Genuß
ſüß wäre, ſo unausbleiblich auch das Bittere folgte.
Alle unſre Begierden, die am frühſten gereizt wer-
den, gehen auf ſinnliche Dinge. Die Fähigkeiten,
ſie zu befriedigen, ſind weit eher da, und entwickeln
ſich viel früher, als die Fähigkeiten unſers Geiſtes;
werden weit eher herrſchend als unſre Vernnnft,
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 83[95]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/99>, abgerufen am 26.06.2024.
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