Er war weit entfernt, den äußern Reli- gionshandlungen eine andre als eine moralische Kraft zuzuschreiben, und warnte bey allen Ge- legenheiten, sich selbst, bey ihrer noch so gewis- senhaften Abwartung, zu sehr zu gefallen. Aber dies hielt ihn nicht ab, die weisen Verord- nungen der ersten Christen, die sich von den frühesten Jahrhunderten auf uns herunter erhal- ten haben, hoch zu achten, so fern sie die Be- förderung der innern Frömmigkeit zur Absicht hatten. Er kannte alle Gebrechen und Mängel unsrer öffentlichen Gottesverehrungen, sah aber gleichwohl seine Verachtung für eine schlimme Vorbedeutung an, und fand das, was darinn wohlthätig ist, sehr überwiegend. Er wußte wohl, daß Zeiten und Tage gleichgültig sind, aber zugleich, daß es der menschlichen Natur höchst angemessen sey, daß man einige auszeich- nete, um sich darinn, bey der Ruhe von an- dern Geschäfften, näher und unmittelbarer mit sich selbst und den höhern Angelegenheiten des Geistes zu beschäfftigen.
Daher lag es ihm auch an, seiner Familie, und denen, die von ihm abhiengen, diese Tage recht nützlich zu machen. Nicht daß er sie einer unaufhörlichen Betrachtung und Einge- zogenheit in sich selbst gewidmet, oder in steten Uebungen der Andacht zugebracht wissen wollte. Hievon erwartete er keine Würkung. Auch nicht, daß er die Seinigen eine jede frohere Empfindung, eine jede Theilnehmung an den Dingen dieser Welt, als unerlaubt und entwei-
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Er war weit entfernt, den äußern Reli- gionshandlungen eine andre als eine moraliſche Kraft zuzuſchreiben, und warnte bey allen Ge- legenheiten, ſich ſelbſt, bey ihrer noch ſo gewiſ- ſenhaften Abwartung, zu ſehr zu gefallen. Aber dies hielt ihn nicht ab, die weiſen Verord- nungen der erſten Chriſten, die ſich von den früheſten Jahrhunderten auf uns herunter erhal- ten haben, hoch zu achten, ſo fern ſie die Be- förderung der innern Frömmigkeit zur Abſicht hatten. Er kannte alle Gebrechen und Mängel unſrer öffentlichen Gottesverehrungen, ſah aber gleichwohl ſeine Verachtung für eine ſchlimme Vorbedeutung an, und fand das, was darinn wohlthätig iſt, ſehr überwiegend. Er wußte wohl, daß Zeiten und Tage gleichgültig ſind, aber zugleich, daß es der menſchlichen Natur höchſt angemeſſen ſey, daß man einige auszeich- nete, um ſich darinn, bey der Ruhe von an- dern Geſchäfften, näher und unmittelbarer mit ſich ſelbſt und den höhern Angelegenheiten des Geiſtes zu beſchäfftigen.
Daher lag es ihm auch an, ſeiner Familie, und denen, die von ihm abhiengen, dieſe Tage recht nützlich zu machen. Nicht daß er ſie einer unaufhörlichen Betrachtung und Einge- zogenheit in ſich ſelbſt gewidmet, oder in ſteten Uebungen der Andacht zugebracht wiſſen wollte. Hievon erwartete er keine Würkung. Auch nicht, daß er die Seinigen eine jede frohere Empfindung, eine jede Theilnehmung an den Dingen dieſer Welt, als unerlaubt und entwei-
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Er war weit entfernt, den äußern Reli-
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Kraft zuzuſchreiben, und warnte bey allen Ge-
legenheiten, ſich ſelbſt, bey ihrer noch ſo gewiſ-
ſenhaften Abwartung, zu ſehr zu gefallen.
Aber dies hielt ihn nicht ab, die weiſen Verord-
nungen der erſten Chriſten, die ſich von den
früheſten Jahrhunderten auf uns herunter erhal-
ten haben, hoch zu achten, ſo fern ſie die Be-
förderung der innern Frömmigkeit zur Abſicht
hatten. Er kannte alle Gebrechen und Mängel
unſrer öffentlichen Gottesverehrungen, ſah aber
gleichwohl ſeine Verachtung für eine ſchlimme
Vorbedeutung an, und fand das, was darinn
wohlthätig iſt, ſehr überwiegend. Er wußte
wohl, daß Zeiten und Tage gleichgültig ſind,
aber zugleich, daß es der menſchlichen Natur
höchſt angemeſſen ſey, daß man einige auszeich-
nete, um ſich darinn, bey der Ruhe von an-
dern Geſchäfften, näher und unmittelbarer mit
ſich ſelbſt und den höhern Angelegenheiten des
Geiſtes zu beſchäfftigen.
Daher lag es ihm auch an, ſeiner Familie,
und denen, die von ihm abhiengen, dieſe Tage
recht nützlich zu machen. Nicht daß er ſie
einer unaufhörlichen Betrachtung und Einge-
zogenheit in ſich ſelbſt gewidmet, oder in ſteten
Uebungen der Andacht zugebracht wiſſen wollte.
Hievon erwartete er keine Würkung. Auch
nicht, daß er die Seinigen eine jede frohere
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/9>, abgerufen am 29.06.2024.
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