in meiner Macht ist, auf den ersten und größesten Gegenstand alles Denkens zu richten, und über An- gelegenheiten nachzudenken, die sich auf die ganze unendliche Dauer meines Daseyns beziehen! Jch gehe an einen Ort, wo schon viele Geschlechter der vor mir lebenden Menschen sich versammelt haben; die mir an Sitten, Gebräuchen, Vorstellungen und Kenntnissen vielleicht höchst ungleich waren, aber denen ich doch darinn gleiche, daß ich so wenig, als sie, Gottes entbehren kann, und mich, wie sie, für verbunden halte, sein Angesicht zu suchen; gehe an einen Ort, wo meine Kinder, Nachkommen, oder die nach mir lebenden Menschen auch hingehen, und den Gott ihrer Väter suchen werden; an einen Ort, den viele besuchten ohne Frucht, aber auch viele ver- liessen reicher an Einsicht und Verstand, an Willig- keit und Entschluß, an Eifer und Strebsamkeit, Gu- tes für diese und jene Welt zu schaffen."
Wenn wir mit diesem ernsthaften Gedanken, und einer gewissen Vorbereitung der Seele die Kir- chen besuchten, sollte es uns nicht leichter und nicht lieber werden, als wenn es entweder bloßes Her- kommen, oder wohl gar ein Zwang ist, den wir uns um andrer willen auflegen zu müssen glauben?
Wird
in meiner Macht iſt, auf den erſten und größeſten Gegenſtand alles Denkens zu richten, und über An- gelegenheiten nachzudenken, die ſich auf die ganze unendliche Dauer meines Daſeyns beziehen! Jch gehe an einen Ort, wo ſchon viele Geſchlechter der vor mir lebenden Menſchen ſich verſammelt haben; die mir an Sitten, Gebräuchen, Vorſtellungen und Kenntniſſen vielleicht höchſt ungleich waren, aber denen ich doch darinn gleiche, daß ich ſo wenig, als ſie, Gottes entbehren kann, und mich, wie ſie, für verbunden halte, ſein Angeſicht zu ſuchen; gehe an einen Ort, wo meine Kinder, Nachkommen, oder die nach mir lebenden Menſchen auch hingehen, und den Gott ihrer Väter ſuchen werden; an einen Ort, den viele beſuchten ohne Frucht, aber auch viele ver- lieſſen reicher an Einſicht und Verſtand, an Willig- keit und Entſchluß, an Eifer und Strebſamkeit, Gu- tes für dieſe und jene Welt zu ſchaffen.“
Wenn wir mit dieſem ernſthaften Gedanken, und einer gewiſſen Vorbereitung der Seele die Kir- chen beſuchten, ſollte es uns nicht leichter und nicht lieber werden, als wenn es entweder bloßes Her- kommen, oder wohl gar ein Zwang iſt, den wir uns um andrer willen auflegen zu müſſen glauben?
Wird
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[20[32]/0036]
in meiner Macht iſt, auf den erſten und größeſten
Gegenſtand alles Denkens zu richten, und über An-
gelegenheiten nachzudenken, die ſich auf die ganze
unendliche Dauer meines Daſeyns beziehen! Jch
gehe an einen Ort, wo ſchon viele Geſchlechter der
vor mir lebenden Menſchen ſich verſammelt haben;
die mir an Sitten, Gebräuchen, Vorſtellungen und
Kenntniſſen vielleicht höchſt ungleich waren, aber
denen ich doch darinn gleiche, daß ich ſo wenig, als
ſie, Gottes entbehren kann, und mich, wie ſie, für
verbunden halte, ſein Angeſicht zu ſuchen; gehe an
einen Ort, wo meine Kinder, Nachkommen, oder
die nach mir lebenden Menſchen auch hingehen, und
den Gott ihrer Väter ſuchen werden; an einen Ort,
den viele beſuchten ohne Frucht, aber auch viele ver-
lieſſen reicher an Einſicht und Verſtand, an Willig-
keit und Entſchluß, an Eifer und Strebſamkeit, Gu-
tes für dieſe und jene Welt zu ſchaffen.“
Wenn wir mit dieſem ernſthaften Gedanken,
und einer gewiſſen Vorbereitung der Seele die Kir-
chen beſuchten, ſollte es uns nicht leichter und nicht
lieber werden, als wenn es entweder bloßes Her-
kommen, oder wohl gar ein Zwang iſt, den wir
uns um andrer willen auflegen zu müſſen glauben?
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 20[32]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/36>, abgerufen am 02.07.2024.
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