ein flüchtiges Andenken an so viele, die wir kennen und nicht kennen, möglich ist; wenn wir da an viele Bedürfnisse der Menschheit gar nicht denken, so sey uns auch darum der dem Herrn geweihte Tag will- kommen und lieb, weil er uns Zeit läßt, uns ruhi- ger als Theile der großen Menschenfamilie zu be- trachten, und dadurch fester an sie anzuschließen, daß wir ihr Wohl unser Wohl, ihr Bedürfniß das unsri- ge, ihre Schwächen die unsrigen, und ihre Anliegen unsre eignen werden lassen.
Zwar -- es ist bey der unendlichen Summe von Wesen, die, Menschen wie wir, diesen Erdball bewohnen, eine unmerklich kleine Zahl, die wir auch nur dem Namen nach kennen, und unter diesen wie- der so wenige, von denen wir mehr als dies wissen, und unter diesen keiner, dem wir in jedem Augen- blick zu erbitten vermöchten, was er in jedem Augen- blick zu seiner Ruhe und zu seiner Freude bedarf. Nur Einer kennt sie alle, sieht sie alle, allgegen- wärtig und in jedem Moment ihres Daseyns! Nur du, Menschenvater, vor dem wir anbeten, von dem wir es glauben müssen, daß nichts dir verborgen ist, ob wir wohl nichts von deinem unendlichen Wissen begreifen. Da ist kein Gedanke in unsrer Seele, da ist auf unsern Lippen kein Wort, den du nicht sahst,
das
ein flüchtiges Andenken an ſo viele, die wir kennen und nicht kennen, möglich iſt; wenn wir da an viele Bedürfniſſe der Menſchheit gar nicht denken, ſo ſey uns auch darum der dem Herrn geweihte Tag will- kommen und lieb, weil er uns Zeit läßt, uns ruhi- ger als Theile der großen Menſchenfamilie zu be- trachten, und dadurch feſter an ſie anzuſchließen, daß wir ihr Wohl unſer Wohl, ihr Bedürfniß das unſri- ge, ihre Schwächen die unſrigen, und ihre Anliegen unſre eignen werden laſſen.
Zwar — es iſt bey der unendlichen Summe von Weſen, die, Menſchen wie wir, dieſen Erdball bewohnen, eine unmerklich kleine Zahl, die wir auch nur dem Namen nach kennen, und unter dieſen wie- der ſo wenige, von denen wir mehr als dies wiſſen, und unter dieſen keiner, dem wir in jedem Augen- blick zu erbitten vermöchten, was er in jedem Augen- blick zu ſeiner Ruhe und zu ſeiner Freude bedarf. Nur Einer kennt ſie alle, ſieht ſie alle, allgegen- wärtig und in jedem Moment ihres Daſeyns! Nur du, Menſchenvater, vor dem wir anbeten, von dem wir es glauben müſſen, daß nichts dir verborgen iſt, ob wir wohl nichts von deinem unendlichen Wiſſen begreifen. Da iſt kein Gedanke in unſrer Seele, da iſt auf unſern Lippen kein Wort, den du nicht ſahſt,
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[12[24]/0028]
ein flüchtiges Andenken an ſo viele, die wir kennen
und nicht kennen, möglich iſt; wenn wir da an viele
Bedürfniſſe der Menſchheit gar nicht denken, ſo ſey
uns auch darum der dem Herrn geweihte Tag will-
kommen und lieb, weil er uns Zeit läßt, uns ruhi-
ger als Theile der großen Menſchenfamilie zu be-
trachten, und dadurch feſter an ſie anzuſchließen, daß
wir ihr Wohl unſer Wohl, ihr Bedürfniß das unſri-
ge, ihre Schwächen die unſrigen, und ihre Anliegen
unſre eignen werden laſſen.
Zwar — es iſt bey der unendlichen Summe
von Weſen, die, Menſchen wie wir, dieſen Erdball
bewohnen, eine unmerklich kleine Zahl, die wir auch
nur dem Namen nach kennen, und unter dieſen wie-
der ſo wenige, von denen wir mehr als dies wiſſen,
und unter dieſen keiner, dem wir in jedem Augen-
blick zu erbitten vermöchten, was er in jedem Augen-
blick zu ſeiner Ruhe und zu ſeiner Freude bedarf.
Nur Einer kennt ſie alle, ſieht ſie alle, allgegen-
wärtig und in jedem Moment ihres Daſeyns! Nur
du, Menſchenvater, vor dem wir anbeten, von dem
wir es glauben müſſen, daß nichts dir verborgen iſt,
ob wir wohl nichts von deinem unendlichen Wiſſen
begreifen. Da iſt kein Gedanke in unſrer Seele, da
iſt auf unſern Lippen kein Wort, den du nicht ſahſt,
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 12[24]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/28>, abgerufen am 02.07.2024.
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