Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

ein flüchtiges Andenken an so viele, die wir kennen
und nicht kennen, möglich ist; wenn wir da an viele
Bedürfnisse der Menschheit gar nicht denken, so sey
uns auch darum der dem Herrn geweihte Tag will-
kommen und lieb, weil er uns Zeit läßt, uns ruhi-
ger als Theile der großen Menschenfamilie zu be-
trachten, und dadurch fester an sie anzuschließen, daß
wir ihr Wohl unser Wohl, ihr Bedürfniß das unsri-
ge, ihre Schwächen die unsrigen, und ihre Anliegen
unsre eignen werden lassen.

Zwar -- es ist bey der unendlichen Summe
von Wesen, die, Menschen wie wir, diesen Erdball
bewohnen, eine unmerklich kleine Zahl, die wir auch
nur dem Namen nach kennen, und unter diesen wie-
der so wenige, von denen wir mehr als dies wissen,
und unter diesen keiner, dem wir in jedem Augen-
blick zu erbitten vermöchten, was er in jedem Augen-
blick zu seiner Ruhe und zu seiner Freude bedarf.
Nur Einer kennt sie alle, sieht sie alle, allgegen-
wärtig und in jedem Moment ihres Daseyns! Nur
du, Menschenvater, vor dem wir anbeten, von dem
wir es glauben müssen, daß nichts dir verborgen ist,
ob wir wohl nichts von deinem unendlichen Wissen
begreifen. Da ist kein Gedanke in unsrer Seele, da
ist auf unsern Lippen kein Wort, den du nicht sahst,

das

ein flüchtiges Andenken an ſo viele, die wir kennen
und nicht kennen, möglich iſt; wenn wir da an viele
Bedürfniſſe der Menſchheit gar nicht denken, ſo ſey
uns auch darum der dem Herrn geweihte Tag will-
kommen und lieb, weil er uns Zeit läßt, uns ruhi-
ger als Theile der großen Menſchenfamilie zu be-
trachten, und dadurch feſter an ſie anzuſchließen, daß
wir ihr Wohl unſer Wohl, ihr Bedürfniß das unſri-
ge, ihre Schwächen die unſrigen, und ihre Anliegen
unſre eignen werden laſſen.

Zwar — es iſt bey der unendlichen Summe
von Weſen, die, Menſchen wie wir, dieſen Erdball
bewohnen, eine unmerklich kleine Zahl, die wir auch
nur dem Namen nach kennen, und unter dieſen wie-
der ſo wenige, von denen wir mehr als dies wiſſen,
und unter dieſen keiner, dem wir in jedem Augen-
blick zu erbitten vermöchten, was er in jedem Augen-
blick zu ſeiner Ruhe und zu ſeiner Freude bedarf.
Nur Einer kennt ſie alle, ſieht ſie alle, allgegen-
wärtig und in jedem Moment ihres Daſeyns! Nur
du, Menſchenvater, vor dem wir anbeten, von dem
wir es glauben müſſen, daß nichts dir verborgen iſt,
ob wir wohl nichts von deinem unendlichen Wiſſen
begreifen. Da iſt kein Gedanke in unſrer Seele, da
iſt auf unſern Lippen kein Wort, den du nicht ſahſt,

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="12[24]"/>
ein flüchtiges Andenken an &#x017F;o viele, die wir kennen<lb/>
und nicht kennen, möglich i&#x017F;t; wenn wir da an viele<lb/>
Bedürfni&#x017F;&#x017F;e der Men&#x017F;chheit gar nicht denken, &#x017F;o &#x017F;ey<lb/>
uns auch darum der dem Herrn geweihte Tag will-<lb/>
kommen und lieb, weil er uns Zeit läßt, uns ruhi-<lb/>
ger als Theile der großen Men&#x017F;chenfamilie zu be-<lb/>
trachten, und dadurch fe&#x017F;ter an &#x017F;ie anzu&#x017F;chließen, daß<lb/>
wir ihr Wohl un&#x017F;er Wohl, ihr Bedürfniß das un&#x017F;ri-<lb/>
ge, ihre Schwächen die un&#x017F;rigen, und ihre Anliegen<lb/>
un&#x017F;re eignen werden la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Zwar &#x2014; es i&#x017F;t bey der unendlichen Summe<lb/>
von We&#x017F;en, die, Men&#x017F;chen wie wir, die&#x017F;en Erdball<lb/>
bewohnen, eine unmerklich kleine Zahl, die wir auch<lb/>
nur dem Namen nach kennen, und unter die&#x017F;en wie-<lb/>
der &#x017F;o wenige, von denen wir mehr als dies wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und unter die&#x017F;en keiner, dem wir in jedem Augen-<lb/>
blick zu erbitten vermöchten, was er in jedem Augen-<lb/>
blick zu &#x017F;einer Ruhe und zu &#x017F;einer Freude bedarf.<lb/>
Nur <hi rendition="#g">Einer</hi> kennt &#x017F;ie alle, &#x017F;ieht &#x017F;ie alle, allgegen-<lb/>
wärtig und in jedem Moment ihres Da&#x017F;eyns! Nur<lb/>
du, <hi rendition="#fr">Men&#x017F;chenvater,</hi> vor dem wir anbeten, von dem<lb/>
wir es glauben mü&#x017F;&#x017F;en, daß nichts dir verborgen i&#x017F;t,<lb/>
ob wir wohl nichts von deinem unendlichen Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
begreifen. Da i&#x017F;t kein Gedanke in un&#x017F;rer Seele, da<lb/>
i&#x017F;t auf un&#x017F;ern Lippen kein Wort, den du nicht &#x017F;ah&#x017F;t,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12[24]/0028] ein flüchtiges Andenken an ſo viele, die wir kennen und nicht kennen, möglich iſt; wenn wir da an viele Bedürfniſſe der Menſchheit gar nicht denken, ſo ſey uns auch darum der dem Herrn geweihte Tag will- kommen und lieb, weil er uns Zeit läßt, uns ruhi- ger als Theile der großen Menſchenfamilie zu be- trachten, und dadurch feſter an ſie anzuſchließen, daß wir ihr Wohl unſer Wohl, ihr Bedürfniß das unſri- ge, ihre Schwächen die unſrigen, und ihre Anliegen unſre eignen werden laſſen. Zwar — es iſt bey der unendlichen Summe von Weſen, die, Menſchen wie wir, dieſen Erdball bewohnen, eine unmerklich kleine Zahl, die wir auch nur dem Namen nach kennen, und unter dieſen wie- der ſo wenige, von denen wir mehr als dies wiſſen, und unter dieſen keiner, dem wir in jedem Augen- blick zu erbitten vermöchten, was er in jedem Augen- blick zu ſeiner Ruhe und zu ſeiner Freude bedarf. Nur Einer kennt ſie alle, ſieht ſie alle, allgegen- wärtig und in jedem Moment ihres Daſeyns! Nur du, Menſchenvater, vor dem wir anbeten, von dem wir es glauben müſſen, daß nichts dir verborgen iſt, ob wir wohl nichts von deinem unendlichen Wiſſen begreifen. Da iſt kein Gedanke in unſrer Seele, da iſt auf unſern Lippen kein Wort, den du nicht ſahſt, das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/28
Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 12[24]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/28>, abgerufen am 18.12.2024.