Gottlob, daß doch heute so mancher Mensch ein- mal Ruhe hat; heute einmal die Stimme seines Trei- bers verstummt; heute mancher, dem von der Woche kein Augenblick eigen ist, sagen kann: "dieser Tag, diese Stunde ist mein!" Wie viele arbeiten Tag für Tag, vom Erwachen bis in die Mitternacht, und essen ihr Brodt mit Sorgen; wie viele dürfen, selbst wenn sie krank und schwach sind, sich nichts davon merken lassen, nichts für ihre Stärkung und Erqui- ckung thun; denn es giebt viel Unbarmherzige unter denen, die mächtig sind! Wie mögen sich diese alle nach dem einzigen Tage sehnen, an dem sie -- mehr der Religion als der Menschlichkeit ihrer Herren -- die Ruhe zu danken haben! Und der Tag ist ihnen heute wieder gekommen. Mit wie ganz anderer Freude mögen sie, vielleicht schon vom Anfang der Woche, auf ihn hingesehen haben, mit welcher fro- hen Hoffnung am gestrigen Abend eingeschlafen, wie zufrieden heute erwacht seyn, weil sie diesmal nicht zu neuem Dienst, sondern zum Feyern von der Ar- beit erwachten!
Wie gut ist es, daß die fromme Verordnung eines solchen Tages ein so allgemeines Ansehen be- kommen hat! Was könnte wohl jene gewinnsüch- tigen Menschen, die keinen andern Bewegungsgrund
ihrer
Gottlob, daß doch heute ſo mancher Menſch ein- mal Ruhe hat; heute einmal die Stimme ſeines Trei- bers verſtummt; heute mancher, dem von der Woche kein Augenblick eigen iſt, ſagen kann: „dieſer Tag, dieſe Stunde iſt mein!“ Wie viele arbeiten Tag für Tag, vom Erwachen bis in die Mitternacht, und eſſen ihr Brodt mit Sorgen; wie viele dürfen, ſelbſt wenn ſie krank und ſchwach ſind, ſich nichts davon merken laſſen, nichts für ihre Stärkung und Erqui- ckung thun; denn es giebt viel Unbarmherzige unter denen, die mächtig ſind! Wie mögen ſich dieſe alle nach dem einzigen Tage ſehnen, an dem ſie — mehr der Religion als der Menſchlichkeit ihrer Herren — die Ruhe zu danken haben! Und der Tag iſt ihnen heute wieder gekommen. Mit wie ganz anderer Freude mögen ſie, vielleicht ſchon vom Anfang der Woche, auf ihn hingeſehen haben, mit welcher fro- hen Hoffnung am geſtrigen Abend eingeſchlafen, wie zufrieden heute erwacht ſeyn, weil ſie diesmal nicht zu neuem Dienſt, ſondern zum Feyern von der Ar- beit erwachten!
Wie gut iſt es, daß die fromme Verordnung eines ſolchen Tages ein ſo allgemeines Anſehen be- kommen hat! Was könnte wohl jene gewinnſüch- tigen Menſchen, die keinen andern Bewegungsgrund
ihrer
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[10[22]/0026]
Gottlob, daß doch heute ſo mancher Menſch ein-
mal Ruhe hat; heute einmal die Stimme ſeines Trei-
bers verſtummt; heute mancher, dem von der Woche
kein Augenblick eigen iſt, ſagen kann: „dieſer Tag,
dieſe Stunde iſt mein!“ Wie viele arbeiten Tag für
Tag, vom Erwachen bis in die Mitternacht, und
eſſen ihr Brodt mit Sorgen; wie viele dürfen, ſelbſt
wenn ſie krank und ſchwach ſind, ſich nichts davon
merken laſſen, nichts für ihre Stärkung und Erqui-
ckung thun; denn es giebt viel Unbarmherzige unter
denen, die mächtig ſind! Wie mögen ſich dieſe alle
nach dem einzigen Tage ſehnen, an dem ſie — mehr
der Religion als der Menſchlichkeit ihrer Herren —
die Ruhe zu danken haben! Und der Tag iſt ihnen
heute wieder gekommen. Mit wie ganz anderer
Freude mögen ſie, vielleicht ſchon vom Anfang der
Woche, auf ihn hingeſehen haben, mit welcher fro-
hen Hoffnung am geſtrigen Abend eingeſchlafen, wie
zufrieden heute erwacht ſeyn, weil ſie diesmal nicht
zu neuem Dienſt, ſondern zum Feyern von der Ar-
beit erwachten!
Wie gut iſt es, daß die fromme Verordnung
eines ſolchen Tages ein ſo allgemeines Anſehen be-
kommen hat! Was könnte wohl jene gewinnſüch-
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 10[22]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/26>, abgerufen am 02.07.2024.
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