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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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ja auch den Weg verfehlt haben, und selbst durch
seine zu große Eilfertigkeit auf Abwege gerathen seyn,
die er bald entdecken würde, wenn er nur zuweilen
still stehn wollte.

Der Tag des Herrn wäre ein solcher recht be-
quemer Zeitpunkt, wo man still stehn könnte. Es
ist so weit entfernt, daß man dadurch etwas ver-
säumt, oder zurückbleibt, daß vielmehr die weisesten
Lehrer, die sich am besten auf die Bedürfnisse unsrer
Natur verstanden, es oft empfohlen und fast von je-
dem Tage gewünscht haben, sich Zeit zum ruhigen
Ueberdenken seiner selbst zu nehmen. Und wenn ihr,
meine Freunde, meinem Zeugniß und meiner Erfah-
rung einigen Glauben beymessen wollt, so rechnet
darauf, daß die Befolgung dieses Wunsches euch
wohl thun wird.

Wenn ich mir oft an solchen Tagen der Ruhe
die Fragen vorlegte: "Was thust du denn eigent-
lich bey allem deinem Mühen und Streben für dei-
nen Geist und seine Bestimmung? Wie viel von
dem, was du zu deiner Zufriedenheit rechnest, und
wornach du alle Segel aufspannest um es zu er-
eilen, hat dir das gewährt, was du davon erwar-
tetest? Und wenn du nicht fandest, was du suchtest,
hat dich die Erfahrung denn vorsichtiger auf die

Zukunft

ja auch den Weg verfehlt haben, und ſelbſt durch
ſeine zu große Eilfertigkeit auf Abwege gerathen ſeyn,
die er bald entdecken würde, wenn er nur zuweilen
ſtill ſtehn wollte.

Der Tag des Herrn wäre ein ſolcher recht be-
quemer Zeitpunkt, wo man ſtill ſtehn könnte. Es
iſt ſo weit entfernt, daß man dadurch etwas ver-
ſäumt, oder zurückbleibt, daß vielmehr die weiſeſten
Lehrer, die ſich am beſten auf die Bedürfniſſe unſrer
Natur verſtanden, es oft empfohlen und faſt von je-
dem Tage gewünſcht haben, ſich Zeit zum ruhigen
Ueberdenken ſeiner ſelbſt zu nehmen. Und wenn ihr,
meine Freunde, meinem Zeugniß und meiner Erfah-
rung einigen Glauben beymeſſen wollt, ſo rechnet
darauf, daß die Befolgung dieſes Wunſches euch
wohl thun wird.

Wenn ich mir oft an ſolchen Tagen der Ruhe
die Fragen vorlegte: „Was thuſt du denn eigent-
lich bey allem deinem Mühen und Streben für dei-
nen Geiſt und ſeine Beſtimmung? Wie viel von
dem, was du zu deiner Zufriedenheit rechneſt, und
wornach du alle Segel aufſpanneſt um es zu er-
eilen, hat dir das gewährt, was du davon erwar-
teteſt? Und wenn du nicht fandeſt, was du ſuchteſt,
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[6[18]/0022] ja auch den Weg verfehlt haben, und ſelbſt durch ſeine zu große Eilfertigkeit auf Abwege gerathen ſeyn, die er bald entdecken würde, wenn er nur zuweilen ſtill ſtehn wollte. Der Tag des Herrn wäre ein ſolcher recht be- quemer Zeitpunkt, wo man ſtill ſtehn könnte. Es iſt ſo weit entfernt, daß man dadurch etwas ver- ſäumt, oder zurückbleibt, daß vielmehr die weiſeſten Lehrer, die ſich am beſten auf die Bedürfniſſe unſrer Natur verſtanden, es oft empfohlen und faſt von je- dem Tage gewünſcht haben, ſich Zeit zum ruhigen Ueberdenken ſeiner ſelbſt zu nehmen. Und wenn ihr, meine Freunde, meinem Zeugniß und meiner Erfah- rung einigen Glauben beymeſſen wollt, ſo rechnet darauf, daß die Befolgung dieſes Wunſches euch wohl thun wird. Wenn ich mir oft an ſolchen Tagen der Ruhe die Fragen vorlegte: „Was thuſt du denn eigent- lich bey allem deinem Mühen und Streben für dei- nen Geiſt und ſeine Beſtimmung? Wie viel von dem, was du zu deiner Zufriedenheit rechneſt, und wornach du alle Segel aufſpanneſt um es zu er- eilen, hat dir das gewährt, was du davon erwar- teteſt? Und wenn du nicht fandeſt, was du ſuchteſt, hat dich die Erfahrung denn vorſichtiger auf die Zukunft

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 6[18]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/22>, abgerufen am 27.11.2024.