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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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veränderten Umständen leicht kommen können. Und
zu diesen gehört recht eigentlich sein Betragen vor
seinem römischen Richter; einem Manne, dessen
scheinbare Billigkeit, dessen ruhige Miene, dessen
Menschlichkeit in der Behandlung Jesu, wenigstens
im Anfang, einen schwächern Verklagten so leicht
hätte bestechen können, je mehr Hoffnung daraus
zu schöpfen war, ihn bey einigem Nachgeben für
sich zu gewinnen; einem Manne, der so sehr über
manche Vorurtheile weg zu seyn schien, und sich
wenigstens den Ton der vermeynten Aufklärung zu
geben wußte, die alles, was sie nicht versteht,
oder woran sie keinen Theil nimmt, am sichersten
durch kalte Verachtung, ein ruhiges Hohnlächeln,
und so hingeworfene Fragen beurtheilt, wie die,
"was ist Wahrheit?" hinter der tiefe Einsicht zu
liegen scheint, im Grunde aber nichts als Unwissen-
heit verborgen ist. Dieß alles macht keinen Ein-
druck auf unsern Erlöser! Gerade vor diesem Ge-
richte giebt er am deutlichsten Rechenschaft von sei-
ner Lehre und Zweck, warum er in der Welt ist;
gerade da spricht er am lautesten von der innern
Würde und Größe seiner Person, über die dem sich
mächtig dünkenden Richter bloß eine kurze Macht
von dem höhern Richter zugestanden ist. Gerade

da,

veränderten Umſtänden leicht kommen können. Und
zu dieſen gehört recht eigentlich ſein Betragen vor
ſeinem römiſchen Richter; einem Manne, deſſen
ſcheinbare Billigkeit, deſſen ruhige Miene, deſſen
Menſchlichkeit in der Behandlung Jeſu, wenigſtens
im Anfang, einen ſchwächern Verklagten ſo leicht
hätte beſtechen können, je mehr Hoffnung daraus
zu ſchöpfen war, ihn bey einigem Nachgeben für
ſich zu gewinnen; einem Manne, der ſo ſehr über
manche Vorurtheile weg zu ſeyn ſchien, und ſich
wenigſtens den Ton der vermeynten Aufklärung zu
geben wußte, die alles, was ſie nicht verſteht,
oder woran ſie keinen Theil nimmt, am ſicherſten
durch kalte Verachtung, ein ruhiges Hohnlächeln,
und ſo hingeworfene Fragen beurtheilt, wie die,
„was iſt Wahrheit?“ hinter der tiefe Einſicht zu
liegen ſcheint, im Grunde aber nichts als Unwiſſen-
heit verborgen iſt. Dieß alles macht keinen Ein-
druck auf unſern Erlöſer! Gerade vor dieſem Ge-
richte giebt er am deutlichſten Rechenſchaft von ſei-
ner Lehre und Zweck, warum er in der Welt iſt;
gerade da ſpricht er am lauteſten von der innern
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[155[167]/0171] veränderten Umſtänden leicht kommen können. Und zu dieſen gehört recht eigentlich ſein Betragen vor ſeinem römiſchen Richter; einem Manne, deſſen ſcheinbare Billigkeit, deſſen ruhige Miene, deſſen Menſchlichkeit in der Behandlung Jeſu, wenigſtens im Anfang, einen ſchwächern Verklagten ſo leicht hätte beſtechen können, je mehr Hoffnung daraus zu ſchöpfen war, ihn bey einigem Nachgeben für ſich zu gewinnen; einem Manne, der ſo ſehr über manche Vorurtheile weg zu ſeyn ſchien, und ſich wenigſtens den Ton der vermeynten Aufklärung zu geben wußte, die alles, was ſie nicht verſteht, oder woran ſie keinen Theil nimmt, am ſicherſten durch kalte Verachtung, ein ruhiges Hohnlächeln, und ſo hingeworfene Fragen beurtheilt, wie die, „was iſt Wahrheit?“ hinter der tiefe Einſicht zu liegen ſcheint, im Grunde aber nichts als Unwiſſen- heit verborgen iſt. Dieß alles macht keinen Ein- druck auf unſern Erlöſer! Gerade vor dieſem Ge- richte giebt er am deutlichſten Rechenſchaft von ſei- ner Lehre und Zweck, warum er in der Welt iſt; gerade da ſpricht er am lauteſten von der innern Würde und Größe ſeiner Perſon, über die dem ſich mächtig dünkenden Richter bloß eine kurze Macht von dem höhern Richter zugeſtanden iſt. Gerade da,

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 155[167]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/171>, abgerufen am 27.11.2024.