gestorben war. Es ist nicht schwer, überall Seelen zu finden -- denn sie sind in allen Ländern und Kirchen zerstreut -- die bey der Erfüllung der beschwerlichsten Dienste sich durch die Vorstellung stärkten: "Wie wenig ist das, was ich thue, ge- "gen das, was Jesus that? Er, der die ersten ge- "rechtesten Ansprüche auf die Freuden des Lebens "machen konnte; in dessen Macht es stand, wie ei- "ner der ganz Glücklichen in der Welt zu leben; "und der gleichwohl in unaufhörlichen Sorgen für "das Beste derer, die er sich nicht schämte Brüder "zu nennen, sein Leben hinbrachte; des Nachts sei- "ne Ruhe, und am Tage seine Heiterkeit verläug- "nete, um den Kranken zu helfen, die Traurigen "zu trösten, und den Weinenden die Thränen ab- "zutrocknen! Er, der nicht bloß in diesem menschen- "freundlichen Geschäffte Sorge und Mühe nicht "achtete, sondern um seines Wohlthuns willen selbst "verfolgt, und doch auch durch Verfolgung nicht "abgeschreckt ward, so lange zu helfen, zu heilen, "bis man ihm die Hände in Bande und Fesseln "legte; bis man ihn wie einen Mörder und Uebel- "thäter zum Hohngelächter aufstellte; bis man ihn, "der jeden fremden Schmerz so tief empfand, un- "ter den ungemessensten Schmerzen bis zum Tode
"quälte!"
geſtorben war. Es iſt nicht ſchwer, überall Seelen zu finden — denn ſie ſind in allen Ländern und Kirchen zerſtreut — die bey der Erfüllung der beſchwerlichſten Dienſte ſich durch die Vorſtellung ſtärkten: „Wie wenig iſt das, was ich thue, ge- „gen das, was Jeſus that? Er, der die erſten ge- „rechteſten Anſprüche auf die Freuden des Lebens „machen konnte; in deſſen Macht es ſtand, wie ei- „ner der ganz Glücklichen in der Welt zu leben; „und der gleichwohl in unaufhörlichen Sorgen für „das Beſte derer, die er ſich nicht ſchämte Brüder „zu nennen, ſein Leben hinbrachte; des Nachts ſei- „ne Ruhe, und am Tage ſeine Heiterkeit verläug- „nete, um den Kranken zu helfen, die Traurigen „zu tröſten, und den Weinenden die Thränen ab- „zutrocknen! Er, der nicht bloß in dieſem menſchen- „freundlichen Geſchäffte Sorge und Mühe nicht „achtete, ſondern um ſeines Wohlthuns willen ſelbſt „verfolgt, und doch auch durch Verfolgung nicht „abgeſchreckt ward, ſo lange zu helfen, zu heilen, „bis man ihm die Hände in Bande und Feſſeln „legte; bis man ihn wie einen Mörder und Uebel- „thäter zum Hohngelächter aufſtellte; bis man ihn, „der jeden fremden Schmerz ſo tief empfand, un- „ter den ungemeſſenſten Schmerzen bis zum Tode
„quälte!“
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[150[162]/0166]
geſtorben war. Es iſt nicht ſchwer, überall Seelen
zu finden — denn ſie ſind in allen Ländern und
Kirchen zerſtreut — die bey der Erfüllung der
beſchwerlichſten Dienſte ſich durch die Vorſtellung
ſtärkten: „Wie wenig iſt das, was ich thue, ge-
„gen das, was Jeſus that? Er, der die erſten ge-
„rechteſten Anſprüche auf die Freuden des Lebens
„machen konnte; in deſſen Macht es ſtand, wie ei-
„ner der ganz Glücklichen in der Welt zu leben;
„und der gleichwohl in unaufhörlichen Sorgen für
„das Beſte derer, die er ſich nicht ſchämte Brüder
„zu nennen, ſein Leben hinbrachte; des Nachts ſei-
„ne Ruhe, und am Tage ſeine Heiterkeit verläug-
„nete, um den Kranken zu helfen, die Traurigen
„zu tröſten, und den Weinenden die Thränen ab-
„zutrocknen! Er, der nicht bloß in dieſem menſchen-
„freundlichen Geſchäffte Sorge und Mühe nicht
„achtete, ſondern um ſeines Wohlthuns willen ſelbſt
„verfolgt, und doch auch durch Verfolgung nicht
„abgeſchreckt ward, ſo lange zu helfen, zu heilen,
„bis man ihm die Hände in Bande und Feſſeln
„legte; bis man ihn wie einen Mörder und Uebel-
„thäter zum Hohngelächter aufſtellte; bis man ihn,
„der jeden fremden Schmerz ſo tief empfand, un-
„ter den ungemeſſenſten Schmerzen bis zum Tode
„quälte!“
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 150[162]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/166>, abgerufen am 29.06.2024.
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