uns gefordert werden, sobald wir die große und süße Verpflichtung erfüllen wollen, andern zu dienen, wie denn überhaupt fast keine Tugend ohne alle Aufopfe- rungen möglich ist.
So viel Gedrückte und Leidende, so viel Kranke und Elende, so viel von Menschen Verlaßne und Verstoßne würden ein ungleich schrecklicheres Loos gehabt haben, wenn es nicht Christen gegeben hätte, die die Liebe Christi zu sehr drang, als daß sie nicht gern einen Theil ihrer Ruhe, ihrer Gesundheit, ihres Vermögens, und selbst ihres guten Namens aufzuopfern bereit gewesen wären, um jener Schik- sal zu erleichtern. Wo sind mehr Anstalten der Menschenliebe zu finden, als wo man den Namen Jesu kennt? Seyen sie auch noch so unvollkommen, mögen auch noch so viele, die daran Theil genom- men haben, von Ehrgeiz, oder von dem Wahn, etwas durch die äußere Handlung bey Gott zu verdienen, regiert seyn -- es bleiben doch noch unter allen Religionspartheyen Unzähltge übrig, die reine Liebe für Jesum und die Brüder beseelte, und die in jedem Unbekleideten, Hungernden, Dur- stenden, Gefangenen, Kranken, dem dienen wollen, der diese alle für seine Brüder erklärt hatte, sie wie sich selbst behandelt wissen wollte, und für sie alle
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uns gefordert werden, ſobald wir die große und ſüße Verpflichtung erfüllen wollen, andern zu dienen, wie denn überhaupt faſt keine Tugend ohne alle Aufopfe- rungen möglich iſt.
So viel Gedrückte und Leidende, ſo viel Kranke und Elende, ſo viel von Menſchen Verlaßne und Verſtoßne würden ein ungleich ſchrecklicheres Loos gehabt haben, wenn es nicht Chriſten gegeben hätte, die die Liebe Chriſti zu ſehr drang, als daß ſie nicht gern einen Theil ihrer Ruhe, ihrer Geſundheit, ihres Vermögens, und ſelbſt ihres guten Namens aufzuopfern bereit geweſen wären, um jener Schik- ſal zu erleichtern. Wo ſind mehr Anſtalten der Menſchenliebe zu finden, als wo man den Namen Jeſu kennt? Seyen ſie auch noch ſo unvollkommen, mögen auch noch ſo viele, die daran Theil genom- men haben, von Ehrgeiz, oder von dem Wahn, etwas durch die äußere Handlung bey Gott zu verdienen, regiert ſeyn — es bleiben doch noch unter allen Religionspartheyen Unzähltge übrig, die reine Liebe für Jeſum und die Brüder beſeelte, und die in jedem Unbekleideten, Hungernden, Dur- ſtenden, Gefangenen, Kranken, dem dienen wollen, der dieſe alle für ſeine Brüder erklärt hatte, ſie wie ſich ſelbſt behandelt wiſſen wollte, und für ſie alle
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[149[161]/0165]
uns gefordert werden, ſobald wir die große und ſüße
Verpflichtung erfüllen wollen, andern zu dienen, wie
denn überhaupt faſt keine Tugend ohne alle Aufopfe-
rungen möglich iſt.
So viel Gedrückte und Leidende, ſo viel Kranke
und Elende, ſo viel von Menſchen Verlaßne und
Verſtoßne würden ein ungleich ſchrecklicheres Loos
gehabt haben, wenn es nicht Chriſten gegeben hätte,
die die Liebe Chriſti zu ſehr drang, als daß ſie nicht
gern einen Theil ihrer Ruhe, ihrer Geſundheit,
ihres Vermögens, und ſelbſt ihres guten Namens
aufzuopfern bereit geweſen wären, um jener Schik-
ſal zu erleichtern. Wo ſind mehr Anſtalten der
Menſchenliebe zu finden, als wo man den Namen
Jeſu kennt? Seyen ſie auch noch ſo unvollkommen,
mögen auch noch ſo viele, die daran Theil genom-
men haben, von Ehrgeiz, oder von dem Wahn,
etwas durch die äußere Handlung bey Gott zu
verdienen, regiert ſeyn — es bleiben doch noch
unter allen Religionspartheyen Unzähltge übrig,
die reine Liebe für Jeſum und die Brüder beſeelte,
und die in jedem Unbekleideten, Hungernden, Dur-
ſtenden, Gefangenen, Kranken, dem dienen wollen,
der dieſe alle für ſeine Brüder erklärt hatte, ſie wie
ſich ſelbſt behandelt wiſſen wollte, und für ſie alle
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 149[161]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/165>, abgerufen am 17.02.2025.
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