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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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Römer ausrufen, als er so mit Wunden bedeckt,
und voll himmlischer Ruhe da steht, seinen Mund
nicht aufthut, zu Vorwürfen und Bitterkeiten gegen
ein hohnlachendes Volk, das ihn mitten in diesen
Mißhandlungen noch spotten, noch die Stellen, die
die Geißel schonte, mit Dornen durchgraben und in
dem Kleide des Spottes dem Gelächter unmenschlicher
Menschen ausstellen kann! Und gewiß weiß er nur
halb, was er sagt; weiß nur halb, welchen Mann
er vor sich hat, wie tief er an Weisheit, Güte und
Größe der Seele unter ihm erniedriget steht! Wir
kennen ihn -- was sollten wir empfinden, wenn uns
dies Bild vor das Auge träte; wie er, der nichts,
gar nichts verbrach, der auch nicht den entferntesten
Anlaß gab, Unruhe und Empörung zu veranlassen,
der kein Kind zu kränken fähig gewesen wäre, und
es denen verwies, die sie kränkten; wie er, der seine
Kräfte im Gutesthun verzehrt hatte, und nur von
Liebe sprach, aus Liebe handelte, aus Liebe ver-
zieh -- da steht, als wär er ein Menschenfeind ge-
wesen, hätte die Beleidigten erfinderisch gemacht,
sich durch Quaalen an ihn zu rächen, bey deren Vor-
stellung unsre Natur zurückschaudert! -- Ueberlaßt
euch einen Augenblick diesem Bilde, und fühlt es tief,
was er gelitten hat, Menschen zu beseligen! -- -- --

Nach

Römer ausrufen, als er ſo mit Wunden bedeckt,
und voll himmliſcher Ruhe da ſteht, ſeinen Mund
nicht aufthut, zu Vorwürfen und Bitterkeiten gegen
ein hohnlachendes Volk, das ihn mitten in dieſen
Mißhandlungen noch ſpotten, noch die Stellen, die
die Geißel ſchonte, mit Dornen durchgraben und in
dem Kleide des Spottes dem Gelächter unmenſchlicher
Menſchen ausſtellen kann! Und gewiß weiß er nur
halb, was er ſagt; weiß nur halb, welchen Mann
er vor ſich hat, wie tief er an Weisheit, Güte und
Größe der Seele unter ihm erniedriget ſteht! Wir
kennen ihn — was ſollten wir empfinden, wenn uns
dies Bild vor das Auge träte; wie er, der nichts,
gar nichts verbrach, der auch nicht den entfernteſten
Anlaß gab, Unruhe und Empörung zu veranlaſſen,
der kein Kind zu kränken fähig geweſen wäre, und
es denen verwies, die ſie kränkten; wie er, der ſeine
Kräfte im Gutesthun verzehrt hatte, und nur von
Liebe ſprach, aus Liebe handelte, aus Liebe ver-
zieh — da ſteht, als wär er ein Menſchenfeind ge-
weſen, hätte die Beleidigten erfinderiſch gemacht,
ſich durch Quaalen an ihn zu rächen, bey deren Vor-
ſtellung unſre Natur zurückſchaudert! — Ueberlaßt
euch einen Augenblick dieſem Bilde, und fühlt es tief,
was er gelitten hat, Menſchen zu beſeligen! — — —

Nach
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[132[144]/0148] Römer ausrufen, als er ſo mit Wunden bedeckt, und voll himmliſcher Ruhe da ſteht, ſeinen Mund nicht aufthut, zu Vorwürfen und Bitterkeiten gegen ein hohnlachendes Volk, das ihn mitten in dieſen Mißhandlungen noch ſpotten, noch die Stellen, die die Geißel ſchonte, mit Dornen durchgraben und in dem Kleide des Spottes dem Gelächter unmenſchlicher Menſchen ausſtellen kann! Und gewiß weiß er nur halb, was er ſagt; weiß nur halb, welchen Mann er vor ſich hat, wie tief er an Weisheit, Güte und Größe der Seele unter ihm erniedriget ſteht! Wir kennen ihn — was ſollten wir empfinden, wenn uns dies Bild vor das Auge träte; wie er, der nichts, gar nichts verbrach, der auch nicht den entfernteſten Anlaß gab, Unruhe und Empörung zu veranlaſſen, der kein Kind zu kränken fähig geweſen wäre, und es denen verwies, die ſie kränkten; wie er, der ſeine Kräfte im Gutesthun verzehrt hatte, und nur von Liebe ſprach, aus Liebe handelte, aus Liebe ver- zieh — da ſteht, als wär er ein Menſchenfeind ge- weſen, hätte die Beleidigten erfinderiſch gemacht, ſich durch Quaalen an ihn zu rächen, bey deren Vor- ſtellung unſre Natur zurückſchaudert! — Ueberlaßt euch einen Augenblick dieſem Bilde, und fühlt es tief, was er gelitten hat, Menſchen zu beſeligen! — — — Nach

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 132[144]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/148>, abgerufen am 28.11.2024.