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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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der Stolz und die Unwissenheit kann dies überall
fordern. Der Mensch, der uns täglich durch
neun und neunzig Proben belehrt, daß er es gut
mit uns meyne; daß er alles weise hinausführe;
daß er auch bey dem Unangenehmen seine wohl-
thätigen. Absichten habe: der hat doch wohl ein
Recht, daß wir ihm in dem hunderten Fall glauben,
auch wenn er uns keine Gründe angiebt. Und
doch wäre da noch Irrthum möglich. Aber Gott,
der nie irren kann, dem, dem wollte der stolze
Mensch nicht glauben?

Wir wollen unser Auge nicht da für blind
ausgeben, wo ihm Gott die Kraft zu sehen eben
so wohl als Gegenstände gegeben hat: nicht von
unerforschlichen Wegen Gottes reden, wo sie
würklich erforschlich sind, und wo es mehr ver-
nünftige Verehrung seiner ist, ihren Spuren nach-
zugehen. Es giebt seltnere, aber dann gemeiniglich
sehr große Gelegenheiten, wo glaubensvolle Unter-
werfung Pflicht wird, und für diese laßt uns
diesen höhern Grad unsers Vertrauens sparen.
Wer jede kleine Widerwärtigkeit als etwas ganz
unerhörtes, unerklärliches betrachtet; wer immer
glaubt, nur ihm geschehe ganz etwas sonderliches --
der ist sehr leicht in Gefahr, unzufrieden mit Gott

zu

der Stolz und die Unwiſſenheit kann dies überall
fordern. Der Menſch, der uns täglich durch
neun und neunzig Proben belehrt, daß er es gut
mit uns meyne; daß er alles weiſe hinausführe;
daß er auch bey dem Unangenehmen ſeine wohl-
thätigen. Abſichten habe: der hat doch wohl ein
Recht, daß wir ihm in dem hunderten Fall glauben,
auch wenn er uns keine Gründe angiebt. Und
doch wäre da noch Irrthum möglich. Aber Gott,
der nie irren kann, dem, dem wollte der ſtolze
Menſch nicht glauben?

Wir wollen unſer Auge nicht da für blind
ausgeben, wo ihm Gott die Kraft zu ſehen eben
ſo wohl als Gegenſtände gegeben hat: nicht von
unerforſchlichen Wegen Gottes reden, wo ſie
würklich erforſchlich ſind, und wo es mehr ver-
nünftige Verehrung ſeiner iſt, ihren Spuren nach-
zugehen. Es giebt ſeltnere, aber dann gemeiniglich
ſehr große Gelegenheiten, wo glaubensvolle Unter-
werfung Pflicht wird, und für dieſe laßt uns
dieſen höhern Grad unſers Vertrauens ſparen.
Wer jede kleine Widerwärtigkeit als etwas ganz
unerhörtes, unerklärliches betrachtet; wer immer
glaubt, nur ihm geſchehe ganz etwas ſonderliches —
der iſt ſehr leicht in Gefahr, unzufrieden mit Gott

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[127[139]/0143] der Stolz und die Unwiſſenheit kann dies überall fordern. Der Menſch, der uns täglich durch neun und neunzig Proben belehrt, daß er es gut mit uns meyne; daß er alles weiſe hinausführe; daß er auch bey dem Unangenehmen ſeine wohl- thätigen. Abſichten habe: der hat doch wohl ein Recht, daß wir ihm in dem hunderten Fall glauben, auch wenn er uns keine Gründe angiebt. Und doch wäre da noch Irrthum möglich. Aber Gott, der nie irren kann, dem, dem wollte der ſtolze Menſch nicht glauben? Wir wollen unſer Auge nicht da für blind ausgeben, wo ihm Gott die Kraft zu ſehen eben ſo wohl als Gegenſtände gegeben hat: nicht von unerforſchlichen Wegen Gottes reden, wo ſie würklich erforſchlich ſind, und wo es mehr ver- nünftige Verehrung ſeiner iſt, ihren Spuren nach- zugehen. Es giebt ſeltnere, aber dann gemeiniglich ſehr große Gelegenheiten, wo glaubensvolle Unter- werfung Pflicht wird, und für dieſe laßt uns dieſen höhern Grad unſers Vertrauens ſparen. Wer jede kleine Widerwärtigkeit als etwas ganz unerhörtes, unerklärliches betrachtet; wer immer glaubt, nur ihm geſchehe ganz etwas ſonderliches — der iſt ſehr leicht in Gefahr, unzufrieden mit Gott zu

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 127[139]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/143>, abgerufen am 28.09.2024.