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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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Nicht sehen und doch glauben.

Als Jesus betete -- Vater ists möglich, so gehe
dieser Relch vorüber; doch nicht wie ich
will, sondern wie du willst
-- da mag ihm
doch der Plan, den Gott durch ihn so herrlich
ausführen wollte, nicht ganz hell gewesen seyn;
trübe Nacht seine Aussicht über den Ausgang
verdunkelt, und mancher Zweifel in seiner Seele
gekämpft haben. Denn hätte er damals ganz
deutlich die Herrlichkeit erblickt, die ihn erwartete,
hätte er die Kronen gesehen, die ihm Gott berei-
tete, die Schaaren gekannt, die ihm gegeben wären
aus allen Völkern und Zungen, die tausendmal-
tausend durch ihn Glückseligen -- er hätte nicht
gewünscht, daß der Kelch -- wie bitter er auch
war -- vorüber gienge. Und dennoch unter-
wirft er sich dem höheren Willen, der ihm der
bessere ist; er sieht nicht und glaubt doch.

Selig sind, die nicht sehen, und doch
glauben!
-- Das war sein eigner Ausspruch,
und hier ist die Erklärung seines Sinnes, und
das vortrefflichste Muster seiner Erfüllung. Die
unwissende Spötterey hat ihn oft mißhandelt;

mit


Nicht ſehen und doch glauben.

Als Jeſus betete — Vater iſts möglich, ſo gehe
dieſer Relch vorüber; doch nicht wie ich
will, ſondern wie du willſt
— da mag ihm
doch der Plan, den Gott durch ihn ſo herrlich
ausführen wollte, nicht ganz hell geweſen ſeyn;
trübe Nacht ſeine Ausſicht über den Ausgang
verdunkelt, und mancher Zweifel in ſeiner Seele
gekämpft haben. Denn hätte er damals ganz
deutlich die Herrlichkeit erblickt, die ihn erwartete,
hätte er die Kronen geſehen, die ihm Gott berei-
tete, die Schaaren gekannt, die ihm gegeben wären
aus allen Völkern und Zungen, die tauſendmal-
tauſend durch ihn Glückſeligen — er hätte nicht
gewünſcht, daß der Kelch — wie bitter er auch
war — vorüber gienge. Und dennoch unter-
wirft er ſich dem höheren Willen, der ihm der
beſſere iſt; er ſieht nicht und glaubt doch.

Selig ſind, die nicht ſehen, und doch
glauben!
— Das war ſein eigner Ausſpruch,
und hier iſt die Erklärung ſeines Sinnes, und
das vortrefflichſte Muſter ſeiner Erfüllung. Die
unwiſſende Spötterey hat ihn oft mißhandelt;

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[125[137]/0141] Nicht ſehen und doch glauben. Als Jeſus betete — Vater iſts möglich, ſo gehe dieſer Relch vorüber; doch nicht wie ich will, ſondern wie du willſt — da mag ihm doch der Plan, den Gott durch ihn ſo herrlich ausführen wollte, nicht ganz hell geweſen ſeyn; trübe Nacht ſeine Ausſicht über den Ausgang verdunkelt, und mancher Zweifel in ſeiner Seele gekämpft haben. Denn hätte er damals ganz deutlich die Herrlichkeit erblickt, die ihn erwartete, hätte er die Kronen geſehen, die ihm Gott berei- tete, die Schaaren gekannt, die ihm gegeben wären aus allen Völkern und Zungen, die tauſendmal- tauſend durch ihn Glückſeligen — er hätte nicht gewünſcht, daß der Kelch — wie bitter er auch war — vorüber gienge. Und dennoch unter- wirft er ſich dem höheren Willen, der ihm der beſſere iſt; er ſieht nicht und glaubt doch. Selig ſind, die nicht ſehen, und doch glauben! — Das war ſein eigner Ausſpruch, und hier iſt die Erklärung ſeines Sinnes, und das vortrefflichſte Muſter ſeiner Erfüllung. Die unwiſſende Spötterey hat ihn oft mißhandelt; mit

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 125[137]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/141>, abgerufen am 28.09.2024.