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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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mit seiner Denkungsart. Dabey war er ganz
rein von jeder unedleren, selbst der allerverzeih-
lichsten Nebenabsicht. Sein Leben war ja ganz
für andre, nicht sein, eine lange Kette von den
menschenfreundlichsten Handlungen. Und dafür
sieht er sich von Freunden und Feinden verfolgt,
herlästert, gequält und getödtet. Wer vermags,
diesen Zustand seiner Seele -- ich will nicht
sagen, selbst nachzuempfinden -- sondern nur zu
beschreiben. Konnte -- konnte seine sanfte Brust
so viel Schmerz ertragen?

Laßt es uns zur heiligen Pflicht machen, diesen
und ähnlichen Gedanken über die Größe der Leiden
unsers Herrn, die auch uns zu gut gekommen sind,
nachzuhängen. Sie müssen und werden uns ernsthaft
machen, zur thätigen Liebe erwecken, und gewiß unsre
Denk- und Handlungsart der seinigen, darinn er sich
bis zum Tode gleichgeblieben ist, näher bringen.



Nicht

mit ſeiner Denkungsart. Dabey war er ganz
rein von jeder unedleren, ſelbſt der allerverzeih-
lichſten Nebenabſicht. Sein Leben war ja ganz
für andre, nicht ſein, eine lange Kette von den
menſchenfreundlichſten Handlungen. Und dafür
ſieht er ſich von Freunden und Feinden verfolgt,
herläſtert, gequält und getödtet. Wer vermags,
dieſen Zuſtand ſeiner Seele — ich will nicht
ſagen, ſelbſt nachzuempfinden — ſondern nur zu
beſchreiben. Konnte — konnte ſeine ſanfte Bruſt
ſo viel Schmerz ertragen?

Laßt es uns zur heiligen Pflicht machen, dieſen
und ähnlichen Gedanken über die Größe der Leiden
unſers Herrn, die auch uns zu gut gekommen ſind,
nachzuhängen. Sie müſſen und werden uns ernſthaft
machen, zur thätigen Liebe erwecken, und gewiß unſre
Denk- und Handlungsart der ſeinigen, darinn er ſich
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[142[136]/0140] mit ſeiner Denkungsart. Dabey war er ganz rein von jeder unedleren, ſelbſt der allerverzeih- lichſten Nebenabſicht. Sein Leben war ja ganz für andre, nicht ſein, eine lange Kette von den menſchenfreundlichſten Handlungen. Und dafür ſieht er ſich von Freunden und Feinden verfolgt, herläſtert, gequält und getödtet. Wer vermags, dieſen Zuſtand ſeiner Seele — ich will nicht ſagen, ſelbſt nachzuempfinden — ſondern nur zu beſchreiben. Konnte — konnte ſeine ſanfte Bruſt ſo viel Schmerz ertragen? Laßt es uns zur heiligen Pflicht machen, dieſen und ähnlichen Gedanken über die Größe der Leiden unſers Herrn, die auch uns zu gut gekommen ſind, nachzuhängen. Sie müſſen und werden uns ernſthaft machen, zur thätigen Liebe erwecken, und gewiß unſre Denk- und Handlungsart der ſeinigen, darinn er ſich bis zum Tode gleichgeblieben iſt, näher bringen. Nicht

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 142[136]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/140>, abgerufen am 28.09.2024.