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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

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wieder gestärkt! Aber auch dieser Trost ward un-
serm Erlöser nicht! Sein Schüler sein Verräther;
und seine Freunde gerade da am theilnehmungslo-
sesten, wo er am bängsten; gerade da am ruhigsten
schlummernd, wo er die angstvollste Nacht seines
Lebens durchwacht. Zuletzt alles entflohn; er
ganz allein, ohne Fürsprecher und Vertheidiger den
ungerechtesten Gerichten überliefert; gemißhandelt,
zu Tode gequält, und von keinem, auch nur be-
daurenden Freunde aufgerichtet. Welche Stärke
der Seele, welche unüberwindliche Geduld, die das
ertragen, und dabey nie mürrisch und unfreundlich,
am wenigsten bitter werden, und selbst dem gelinde-
sten Vorwurf schon eine Entschuldigung zugesellen
kann! Wie ganz anders sind die meisten von uns
in diesem Fall -- gegen jeden Verdacht von Kälte
empfindlich, vielleicht ungerecht genug zu verlan-
gen, daß andre den Zustand unsrer Seele errathen,
die Traurigkeit, die unsre Heiterkeit der Seele be-
wölkt, sich allen um uns mittheilen und die Farbe
geben soll, in der unser Auge die Gegenstände
erblickt.

Es ist ferner eine große Erleichterung für den
Leidenden, wenn wenigstens etwas an ihm ohne
Schmerz ist -- sey es der Körper oder der Geist.

Es

wieder geſtärkt! Aber auch dieſer Troſt ward un-
ſerm Erlöſer nicht! Sein Schüler ſein Verräther;
und ſeine Freunde gerade da am theilnehmungslo-
ſeſten, wo er am bängſten; gerade da am ruhigſten
ſchlummernd, wo er die angſtvollſte Nacht ſeines
Lebens durchwacht. Zuletzt alles entflohn; er
ganz allein, ohne Fürſprecher und Vertheidiger den
ungerechteſten Gerichten überliefert; gemißhandelt,
zu Tode gequält, und von keinem, auch nur be-
daurenden Freunde aufgerichtet. Welche Stärke
der Seele, welche unüberwindliche Geduld, die das
ertragen, und dabey nie mürriſch und unfreundlich,
am wenigſten bitter werden, und ſelbſt dem gelinde-
ſten Vorwurf ſchon eine Entſchuldigung zugeſellen
kann! Wie ganz anders ſind die meiſten von uns
in dieſem Fall — gegen jeden Verdacht von Kälte
empfindlich, vielleicht ungerecht genug zu verlan-
gen, daß andre den Zuſtand unſrer Seele errathen,
die Traurigkeit, die unſre Heiterkeit der Seele be-
wölkt, ſich allen um uns mittheilen und die Farbe
geben ſoll, in der unſer Auge die Gegenſtände
erblickt.

Es iſt ferner eine große Erleichterung für den
Leidenden, wenn wenigſtens etwas an ihm ohne
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[120[132]/0136] wieder geſtärkt! Aber auch dieſer Troſt ward un- ſerm Erlöſer nicht! Sein Schüler ſein Verräther; und ſeine Freunde gerade da am theilnehmungslo- ſeſten, wo er am bängſten; gerade da am ruhigſten ſchlummernd, wo er die angſtvollſte Nacht ſeines Lebens durchwacht. Zuletzt alles entflohn; er ganz allein, ohne Fürſprecher und Vertheidiger den ungerechteſten Gerichten überliefert; gemißhandelt, zu Tode gequält, und von keinem, auch nur be- daurenden Freunde aufgerichtet. Welche Stärke der Seele, welche unüberwindliche Geduld, die das ertragen, und dabey nie mürriſch und unfreundlich, am wenigſten bitter werden, und ſelbſt dem gelinde- ſten Vorwurf ſchon eine Entſchuldigung zugeſellen kann! Wie ganz anders ſind die meiſten von uns in dieſem Fall — gegen jeden Verdacht von Kälte empfindlich, vielleicht ungerecht genug zu verlan- gen, daß andre den Zuſtand unſrer Seele errathen, die Traurigkeit, die unſre Heiterkeit der Seele be- wölkt, ſich allen um uns mittheilen und die Farbe geben ſoll, in der unſer Auge die Gegenſtände erblickt. Es iſt ferner eine große Erleichterung für den Leidenden, wenn wenigſtens etwas an ihm ohne Schmerz iſt — ſey es der Körper oder der Geiſt. Es

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Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 120[132]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/136>, abgerufen am 23.11.2024.