Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

die Geschichte seiner Erduldungen zu den Geschich-
ten der größten Leidenden gehören. Es vereinigt
sich alles in ihr, was den Muth niederschlagen, die
Aussicht verdunkeln und den Geist niederdrücken
mußte. Denn da steigen doch wohl die Leiden am
höchsten, wo uns fast alles, was uns sonst unter
ihnen bruhigt, verläßt -- wo nicht bloß ein Theil
unsers Wesens, sondern beyde zugleich leiden --
wo das Bewußtseyn der vollkommensten Unschuld
die Unterwerfung erschweret, und wo endlich bey
dem Ausgange selbst dem festesten Gottvertrauen
nicht alle Zweifel gleich überwindlich sind. Und
dies alles ist der Fall bey dem Größten unter denen,
die je gelitten haben. Es ist unmöglich, daß wir
dies näher überdenken können, ohne innigst ge-
rührt, und auf die Gott gefälligste Art dankbar zu
werden.

Was hat uns oft, wenn uns am übelsten zu
Muthe war, mehr aufgerichtet, was hat uns we-
nigstens auf Stunden das Leiden vergessen gemacht,
als der Zuspruch, der Trost, selbst schon die Gesell-
schaft derer, die wir liebten? Ihre Treue, ihr
Ausdauren in Tagen, wo man so selten Freunde
findet, die ausdauren mögen, -- wie hat sie uns,
wenn wir uns dem Unmuth überlassen wollten,

wieder
H 4

die Geſchichte ſeiner Erduldungen zu den Geſchich-
ten der größten Leidenden gehören. Es vereinigt
ſich alles in ihr, was den Muth niederſchlagen, die
Ausſicht verdunkeln und den Geiſt niederdrücken
mußte. Denn da ſteigen doch wohl die Leiden am
höchſten, wo uns faſt alles, was uns ſonſt unter
ihnen bruhigt, verläßt — wo nicht bloß ein Theil
unſers Weſens, ſondern beyde zugleich leiden —
wo das Bewußtſeyn der vollkommenſten Unſchuld
die Unterwerfung erſchweret, und wo endlich bey
dem Ausgange ſelbſt dem feſteſten Gottvertrauen
nicht alle Zweifel gleich überwindlich ſind. Und
dies alles iſt der Fall bey dem Größten unter denen,
die je gelitten haben. Es iſt unmöglich, daß wir
dies näher überdenken können, ohne innigſt ge-
rührt, und auf die Gott gefälligſte Art dankbar zu
werden.

Was hat uns oft, wenn uns am übelſten zu
Muthe war, mehr aufgerichtet, was hat uns we-
nigſtens auf Stunden das Leiden vergeſſen gemacht,
als der Zuſpruch, der Troſt, ſelbſt ſchon die Geſell-
ſchaft derer, die wir liebten? Ihre Treue, ihr
Ausdauren in Tagen, wo man ſo ſelten Freunde
findet, die ausdauren mögen, — wie hat ſie uns,
wenn wir uns dem Unmuth überlaſſen wollten,

wieder
H 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0135" n="119[131]"/>
die Ge&#x017F;chichte &#x017F;einer Erduldungen zu den Ge&#x017F;chich-<lb/>
ten der größten Leidenden gehören. Es vereinigt<lb/>
&#x017F;ich alles in ihr, was den Muth nieder&#x017F;chlagen, die<lb/>
Aus&#x017F;icht verdunkeln und den Gei&#x017F;t niederdrücken<lb/>
mußte. Denn da &#x017F;teigen doch wohl die Leiden am<lb/>
höch&#x017F;ten, wo uns fa&#x017F;t alles, was uns &#x017F;on&#x017F;t unter<lb/>
ihnen bruhigt, verläßt &#x2014; wo nicht bloß ein Theil<lb/>
un&#x017F;ers We&#x017F;ens, &#x017F;ondern beyde zugleich leiden &#x2014;<lb/>
wo das Bewußt&#x017F;eyn der vollkommen&#x017F;ten Un&#x017F;chuld<lb/>
die Unterwerfung er&#x017F;chweret, und wo endlich bey<lb/>
dem Ausgange &#x017F;elb&#x017F;t dem fe&#x017F;te&#x017F;ten Gottvertrauen<lb/>
nicht alle Zweifel gleich überwindlich &#x017F;ind. Und<lb/>
dies alles i&#x017F;t der Fall bey dem Größten unter denen,<lb/>
die je gelitten haben. Es i&#x017F;t unmöglich, daß wir<lb/>
dies näher überdenken können, ohne innig&#x017F;t ge-<lb/>
rührt, und auf die Gott gefällig&#x017F;te Art dankbar zu<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>Was hat uns oft, wenn uns am übel&#x017F;ten zu<lb/>
Muthe war, mehr aufgerichtet, was hat uns we-<lb/>
nig&#x017F;tens auf Stunden das Leiden verge&#x017F;&#x017F;en gemacht,<lb/>
als der Zu&#x017F;pruch, der Tro&#x017F;t, &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon die Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft derer, die wir liebten? Ihre Treue, ihr<lb/>
Ausdauren in Tagen, wo man &#x017F;o &#x017F;elten Freunde<lb/>
findet, die ausdauren mögen, &#x2014; wie hat &#x017F;ie uns,<lb/>
wenn wir uns dem Unmuth überla&#x017F;&#x017F;en wollten,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wieder</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119[131]/0135] die Geſchichte ſeiner Erduldungen zu den Geſchich- ten der größten Leidenden gehören. Es vereinigt ſich alles in ihr, was den Muth niederſchlagen, die Ausſicht verdunkeln und den Geiſt niederdrücken mußte. Denn da ſteigen doch wohl die Leiden am höchſten, wo uns faſt alles, was uns ſonſt unter ihnen bruhigt, verläßt — wo nicht bloß ein Theil unſers Weſens, ſondern beyde zugleich leiden — wo das Bewußtſeyn der vollkommenſten Unſchuld die Unterwerfung erſchweret, und wo endlich bey dem Ausgange ſelbſt dem feſteſten Gottvertrauen nicht alle Zweifel gleich überwindlich ſind. Und dies alles iſt der Fall bey dem Größten unter denen, die je gelitten haben. Es iſt unmöglich, daß wir dies näher überdenken können, ohne innigſt ge- rührt, und auf die Gott gefälligſte Art dankbar zu werden. Was hat uns oft, wenn uns am übelſten zu Muthe war, mehr aufgerichtet, was hat uns we- nigſtens auf Stunden das Leiden vergeſſen gemacht, als der Zuſpruch, der Troſt, ſelbſt ſchon die Geſell- ſchaft derer, die wir liebten? Ihre Treue, ihr Ausdauren in Tagen, wo man ſo ſelten Freunde findet, die ausdauren mögen, — wie hat ſie uns, wenn wir uns dem Unmuth überlaſſen wollten, wieder H 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/135
Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 119[131]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/135>, abgerufen am 20.10.2024.