Anfang unnatürlich und unerträglich finden, na- türlich und erträglich, und es bedarf oft wenig Zeit, um eben so zu denken, zu urtheilen, zu handeln, wie die, deren Gesinnungen uns vormals noch so sehr befremdeten.
Wie viel ist aus dieser so gemeinen Erfahrung zu lernen! Von diesem Vielen will ich nur Einiges nennen.
In welchem Stande wir auch leben mögen -- in jedem laßt uns das Gute, das aus der schönen Mäßigkeit quillt, zu nutzen suchen. Es ist nicht unmöglich, ob es wohl in den höhern Ständen schwerer ist. Unsre Seele trachte nie nach hohen Dingen; nie nach zu viel schimmernder Ehre und glänzenden Vorzügen; nie nach zu viel Vermögen, oder Einfiuß, oder Ruhm. Die Lasten, die dies alles hat, sind das geringste Uebel. Die Gefahr, die es bringen würde, und vor der auch die be- festigte Tugend nicht ganz sicher ist, ist das größere, mit dem wir vielleicht ein kleines, zum Theil nur in der Einbildung bestehendes Gut, viel zu theuer kaufen könnten. Es wird uns wohl thun, wenn wir uns diese Gefahren im Einzelnen vorstellen, und durch diese Vorstellung den Eindruck ihrer Reizungen schwächen.
Wenn
Anfang unnatürlich und unerträglich finden, na- türlich und erträglich, und es bedarf oft wenig Zeit, um eben ſo zu denken, zu urtheilen, zu handeln, wie die, deren Geſinnungen uns vormals noch ſo ſehr befremdeten.
Wie viel iſt aus dieſer ſo gemeinen Erfahrung zu lernen! Von dieſem Vielen will ich nur Einiges nennen.
In welchem Stande wir auch leben mögen — in jedem laßt uns das Gute, das aus der ſchönen Mäßigkeit quillt, zu nutzen ſuchen. Es iſt nicht unmöglich, ob es wohl in den höhern Ständen ſchwerer iſt. Unſre Seele trachte nie nach hohen Dingen; nie nach zu viel ſchimmernder Ehre und glänzenden Vorzügen; nie nach zu viel Vermögen, oder Einfiuß, oder Ruhm. Die Laſten, die dies alles hat, ſind das geringſte Uebel. Die Gefahr, die es bringen würde, und vor der auch die be- feſtigte Tugend nicht ganz ſicher iſt, iſt das größere, mit dem wir vielleicht ein kleines, zum Theil nur in der Einbildung beſtehendes Gut, viel zu theuer kaufen könnten. Es wird uns wohl thun, wenn wir uns dieſe Gefahren im Einzelnen vorſtellen, und durch dieſe Vorſtellung den Eindruck ihrer Reizungen ſchwächen.
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[92[104]/0108]
Anfang unnatürlich und unerträglich finden, na-
türlich und erträglich, und es bedarf oft wenig Zeit,
um eben ſo zu denken, zu urtheilen, zu handeln,
wie die, deren Geſinnungen uns vormals noch ſo
ſehr befremdeten.
Wie viel iſt aus dieſer ſo gemeinen Erfahrung
zu lernen! Von dieſem Vielen will ich nur Einiges
nennen.
In welchem Stande wir auch leben mögen —
in jedem laßt uns das Gute, das aus der ſchönen
Mäßigkeit quillt, zu nutzen ſuchen. Es iſt nicht
unmöglich, ob es wohl in den höhern Ständen
ſchwerer iſt. Unſre Seele trachte nie nach hohen
Dingen; nie nach zu viel ſchimmernder Ehre und
glänzenden Vorzügen; nie nach zu viel Vermögen,
oder Einfiuß, oder Ruhm. Die Laſten, die dies
alles hat, ſind das geringſte Uebel. Die Gefahr,
die es bringen würde, und vor der auch die be-
feſtigte Tugend nicht ganz ſicher iſt, iſt das größere,
mit dem wir vielleicht ein kleines, zum Theil nur
in der Einbildung beſtehendes Gut, viel zu theuer
kaufen könnten. Es wird uns wohl thun, wenn
wir uns dieſe Gefahren im Einzelnen vorſtellen, und
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Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 92[104]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/108>, abgerufen am 16.02.2025.
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