Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

die man nicht zu ändern Lust hat; die nur dann et-
was sagen würde, wenn es unmöglich wäre, besser
zu werden, als man einmal ist.

Wie oft unterliegen unsre sinnlichen Begierden
unsrer Bernunft in dem Augenblicke wo diese unsre
Vernunft, und die sie stärkende, erinnernde, war-
nende Religion uns deutlich sagt, was wir thun,
und es uns lebhaft fühlen läßt, wie sehr wir uns
erniedrigen! Dies ist nicht etwa bloß der Fall derer,
die den Reizungen der körperlichen Wollust, diesen
so häufigen, so mächtigen und so gefährlichen Rei-
zungen, nicht widerstehen können. Es giebt der
Begierden noch viel mehr als diese. Die niedrige
Habsucht, der thörichte Ehrgeiz, die Lust sich zu
rächen, empören sich eben so oft, und wie selten fin-
den sie Widerstand!

Und selbst unser so baldiges Ermüden im Gutes
thun; die Kälte, mit der wir die wichtigsten Angele-
genheiten betreiben; die Trägheit, die uns bey Hand-
lungen überfällt, welche wir vielleicht mit großem Ei-
fer unternahmen -- was ist es anders als zu wenig
bekämpfte Schwäche unsrer Natur, und zu wenige
Gewöhnung des Geistes an höhere Gegenstände?

Noch einmal -- wären diese so allgemeinen Feh-
ler nothwendige Folgen unsrer Menschlichkeit, und

gäbe
F 3

die man nicht zu ändern Luſt hat; die nur dann et-
was ſagen würde, wenn es unmöglich wäre, beſſer
zu werden, als man einmal iſt.

Wie oft unterliegen unſre ſinnlichen Begierden
unſrer Bernunft in dem Augenblicke wo dieſe unſre
Vernunft, und die ſie ſtärkende, erinnernde, war-
nende Religion uns deutlich ſagt, was wir thun,
und es uns lebhaft fühlen läßt, wie ſehr wir uns
erniedrigen! Dies iſt nicht etwa bloß der Fall derer,
die den Reizungen der körperlichen Wolluſt, dieſen
ſo häufigen, ſo mächtigen und ſo gefährlichen Rei-
zungen, nicht widerſtehen können. Es giebt der
Begierden noch viel mehr als dieſe. Die niedrige
Habſucht, der thörichte Ehrgeiz, die Luſt ſich zu
rächen, empören ſich eben ſo oft, und wie ſelten fin-
den ſie Widerſtand!

Und ſelbſt unſer ſo baldiges Ermüden im Gutes
thun; die Kälte, mit der wir die wichtigſten Angele-
genheiten betreiben; die Trägheit, die uns bey Hand-
lungen überfällt, welche wir vielleicht mit großem Ei-
fer unternahmen — was iſt es anders als zu wenig
bekämpfte Schwäche unſrer Natur, und zu wenige
Gewöhnung des Geiſtes an höhere Gegenſtände?

Noch einmal — wären dieſe ſo allgemeinen Feh-
ler nothwendige Folgen unſrer Menſchlichkeit, und

gäbe
F 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="85[97]"/>
die man nicht zu ändern Lu&#x017F;t hat; die nur dann et-<lb/>
was &#x017F;agen würde, wenn es unmöglich wäre, be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
zu werden, als man einmal i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wie oft unterliegen un&#x017F;re &#x017F;innlichen Begierden<lb/>
un&#x017F;rer Bernunft in dem Augenblicke wo die&#x017F;e un&#x017F;re<lb/>
Vernunft, und die &#x017F;ie &#x017F;tärkende, erinnernde, war-<lb/>
nende Religion uns deutlich &#x017F;agt, was wir thun,<lb/>
und es uns lebhaft fühlen läßt, wie &#x017F;ehr wir uns<lb/>
erniedrigen! Dies i&#x017F;t nicht etwa bloß der Fall derer,<lb/>
die den Reizungen der körperlichen Wollu&#x017F;t, die&#x017F;en<lb/>
&#x017F;o häufigen, &#x017F;o mächtigen und &#x017F;o gefährlichen Rei-<lb/>
zungen, nicht wider&#x017F;tehen können. Es giebt der<lb/>
Begierden noch viel mehr als die&#x017F;e. Die niedrige<lb/>
Hab&#x017F;ucht, der thörichte Ehrgeiz, die Lu&#x017F;t &#x017F;ich zu<lb/>
rächen, empören &#x017F;ich eben &#x017F;o oft, und wie &#x017F;elten fin-<lb/>
den &#x017F;ie Wider&#x017F;tand!</p><lb/>
          <p>Und &#x017F;elb&#x017F;t un&#x017F;er &#x017F;o baldiges Ermüden im Gutes<lb/>
thun; die Kälte, mit der wir die wichtig&#x017F;ten Angele-<lb/>
genheiten betreiben; die Trägheit, die uns bey Hand-<lb/>
lungen überfällt, welche wir vielleicht mit großem Ei-<lb/>
fer unternahmen &#x2014; was i&#x017F;t es anders als zu wenig<lb/>
bekämpfte Schwäche un&#x017F;rer Natur, und zu wenige<lb/>
Gewöhnung des Gei&#x017F;tes an höhere Gegen&#x017F;tände?</p><lb/>
          <p>Noch einmal &#x2014; wären die&#x017F;e &#x017F;o allgemeinen Feh-<lb/>
ler nothwendige Folgen un&#x017F;rer Men&#x017F;chlichkeit, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 3</fw><fw place="bottom" type="catch">gäbe</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85[97]/0101] die man nicht zu ändern Luſt hat; die nur dann et- was ſagen würde, wenn es unmöglich wäre, beſſer zu werden, als man einmal iſt. Wie oft unterliegen unſre ſinnlichen Begierden unſrer Bernunft in dem Augenblicke wo dieſe unſre Vernunft, und die ſie ſtärkende, erinnernde, war- nende Religion uns deutlich ſagt, was wir thun, und es uns lebhaft fühlen läßt, wie ſehr wir uns erniedrigen! Dies iſt nicht etwa bloß der Fall derer, die den Reizungen der körperlichen Wolluſt, dieſen ſo häufigen, ſo mächtigen und ſo gefährlichen Rei- zungen, nicht widerſtehen können. Es giebt der Begierden noch viel mehr als dieſe. Die niedrige Habſucht, der thörichte Ehrgeiz, die Luſt ſich zu rächen, empören ſich eben ſo oft, und wie ſelten fin- den ſie Widerſtand! Und ſelbſt unſer ſo baldiges Ermüden im Gutes thun; die Kälte, mit der wir die wichtigſten Angele- genheiten betreiben; die Trägheit, die uns bey Hand- lungen überfällt, welche wir vielleicht mit großem Ei- fer unternahmen — was iſt es anders als zu wenig bekämpfte Schwäche unſrer Natur, und zu wenige Gewöhnung des Geiſtes an höhere Gegenſtände? Noch einmal — wären dieſe ſo allgemeinen Feh- ler nothwendige Folgen unſrer Menſchlichkeit, und gäbe F 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/101
Zitationshilfe: Niemeyer, August Hermann: Timotheus. Bd. 1. 2. Aufl. Frankfurt (Main) u.a., 1790, S. 85[97]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niemeyer_timotheus01_1790/101>, abgerufen am 24.11.2024.