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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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hestörer der Comitien, warnten endlich den Senat daß ein
längerer Widerspruch gegen die geforderte Gesetzgebung
allzugefährlich sey. Hätten die Tribunen dem Senat die
Form der Gesetzgebung überlassen, und eingewilligt daß
sie von den Patriciern allein entworfen werde 70), so
träfe die Widerspenstigen eine noch schwerere Verantwort-
lichkeit, daß sie den Frieden so lange gestört, und die Ab-
sichten der Tribunen erschienen höchst uneigennützig. Li-
vius theilt hier für die von ihm begünstigte Parthey eine
sehr gewöhnliche Eitelkeit, lieber unrecht handeln zu wol-
len, als zur Nachgiebigkeit gezwungen zu seyn. Aber so
wenig die Plebejer sich vermaßen einseitig dem Staat Ge-
setze vorschreiben zu wollen, so wenig unterwarfen sie sich
jetzt der patricischen Willkühr: es ist nicht zu verkennen
daß der Senat völlig nachgab, mit dem heimlichen Vor-
behalt die Ausführung nach seinem Sinn zu lenken. Daß
Gesetzgeber ernannt werden und zugleich als alleinige
höchste Obrigkeit gebieten sollten, ward im Jahr 300 vom
Senat beschlossen; und Abgeordnete an die griechischen
Städte Italiens und bis Athen gesandt, um die Gesetze
zu sammeln welche für die weisesten gehalten wurden,
und sie für den Gebrauch der Decemvirn heimzubringen.
Eine Nachricht deren allgemeine Wahrheit die Verzeich-
nung der Nahmen der Abgeordneten beglaubigt; die aber,

versucht hätten. X. c. 44. ff. Eine solche Frevelthat wäre
gewiß härter als mit einer leichten Geldstrafe geahndet
worden, und schon deswegen muß man hier Glauben versa-
gen: aber sie schildert den Geist und die Sitten der Zeiten.
70) Livius III. c. 31.
E 2

heſtoͤrer der Comitien, warnten endlich den Senat daß ein
laͤngerer Widerſpruch gegen die geforderte Geſetzgebung
allzugefaͤhrlich ſey. Haͤtten die Tribunen dem Senat die
Form der Geſetzgebung uͤberlaſſen, und eingewilligt daß
ſie von den Patriciern allein entworfen werde 70), ſo
traͤfe die Widerſpenſtigen eine noch ſchwerere Verantwort-
lichkeit, daß ſie den Frieden ſo lange geſtoͤrt, und die Ab-
ſichten der Tribunen erſchienen hoͤchſt uneigennuͤtzig. Li-
vius theilt hier fuͤr die von ihm beguͤnſtigte Parthey eine
ſehr gewoͤhnliche Eitelkeit, lieber unrecht handeln zu wol-
len, als zur Nachgiebigkeit gezwungen zu ſeyn. Aber ſo
wenig die Plebejer ſich vermaßen einſeitig dem Staat Ge-
ſetze vorſchreiben zu wollen, ſo wenig unterwarfen ſie ſich
jetzt der patriciſchen Willkuͤhr: es iſt nicht zu verkennen
daß der Senat voͤllig nachgab, mit dem heimlichen Vor-
behalt die Ausfuͤhrung nach ſeinem Sinn zu lenken. Daß
Geſetzgeber ernannt werden und zugleich als alleinige
hoͤchſte Obrigkeit gebieten ſollten, ward im Jahr 300 vom
Senat beſchloſſen; und Abgeordnete an die griechiſchen
Staͤdte Italiens und bis Athen geſandt, um die Geſetze
zu ſammeln welche fuͤr die weiſeſten gehalten wurden,
und ſie fuͤr den Gebrauch der Decemvirn heimzubringen.
Eine Nachricht deren allgemeine Wahrheit die Verzeich-
nung der Nahmen der Abgeordneten beglaubigt; die aber,

verſucht haͤtten. X. c. 44. ff. Eine ſolche Frevelthat waͤre
gewiß haͤrter als mit einer leichten Geldſtrafe geahndet
worden, und ſchon deswegen muß man hier Glauben verſa-
gen: aber ſie ſchildert den Geiſt und die Sitten der Zeiten.
70) Livius III. c. 31.
E 2
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[67/0083] heſtoͤrer der Comitien, warnten endlich den Senat daß ein laͤngerer Widerſpruch gegen die geforderte Geſetzgebung allzugefaͤhrlich ſey. Haͤtten die Tribunen dem Senat die Form der Geſetzgebung uͤberlaſſen, und eingewilligt daß ſie von den Patriciern allein entworfen werde 70), ſo traͤfe die Widerſpenſtigen eine noch ſchwerere Verantwort- lichkeit, daß ſie den Frieden ſo lange geſtoͤrt, und die Ab- ſichten der Tribunen erſchienen hoͤchſt uneigennuͤtzig. Li- vius theilt hier fuͤr die von ihm beguͤnſtigte Parthey eine ſehr gewoͤhnliche Eitelkeit, lieber unrecht handeln zu wol- len, als zur Nachgiebigkeit gezwungen zu ſeyn. Aber ſo wenig die Plebejer ſich vermaßen einſeitig dem Staat Ge- ſetze vorſchreiben zu wollen, ſo wenig unterwarfen ſie ſich jetzt der patriciſchen Willkuͤhr: es iſt nicht zu verkennen daß der Senat voͤllig nachgab, mit dem heimlichen Vor- behalt die Ausfuͤhrung nach ſeinem Sinn zu lenken. Daß Geſetzgeber ernannt werden und zugleich als alleinige hoͤchſte Obrigkeit gebieten ſollten, ward im Jahr 300 vom Senat beſchloſſen; und Abgeordnete an die griechiſchen Staͤdte Italiens und bis Athen geſandt, um die Geſetze zu ſammeln welche fuͤr die weiſeſten gehalten wurden, und ſie fuͤr den Gebrauch der Decemvirn heimzubringen. Eine Nachricht deren allgemeine Wahrheit die Verzeich- nung der Nahmen der Abgeordneten beglaubigt; die aber, 69) 70) Livius III. c. 31. 69) verſucht haͤtten. X. c. 44. ff. Eine ſolche Frevelthat waͤre gewiß haͤrter als mit einer leichten Geldſtrafe geahndet worden, und ſchon deswegen muß man hier Glauben verſa- gen: aber ſie ſchildert den Geiſt und die Sitten der Zeiten. E 2

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/83>, abgerufen am 27.11.2024.