Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

wann 72), so konnte auch während dieser Zeit nicht nur
nicht jeder willkührlich, sondern nicht einmal der unmit-
telbar Gekränkte vor dem Volk anklagen. Es ist sichtbar,
daß es noch immer der einzige Gerichtsgang war, der Ma-
gistratur, welche die Criminalinquisition hatte, Anzeige zu
machen: daß ihre Lossprechung den Angeklagten von aller
Verfolgung befreyte: und daß sie, wenn sie Schuld
fand, die Sache vor dem Volksgericht anhängig machte.

Nur die letzten Bücher der ersten livianischen Decade
können uns die Criminalinquisition in den Händen der cu-
rulischen Aedilen zeigen; denn im elften war die Ein-
setzung der Triumviri capitales (gegen das Jahr 464) er-
zählt, auf welche sie so überging wie ursprünglich die
Quästoren sie gehabt hatten 73). Später ist allerdings
der Fall des M. Marcellus, aber unter ganz eigenthümli-
chen Umständen 74): und man vergesse die Grundregel
nicht, daß einer römischen Magistratur ihr ursprünglich
gehörende Attribute nie so entzogen wurden daß sie nicht in
einzelnen Fällen wieder ausgeübt werden konnten. Die
Wuchergesetze wurden noch in der letzten Hälfte des sech-
sten Jahrhunderts durch dieser Aedilen Sorgfalt in Kraft
erhalten 75). Auch dieses, und was dem ähnliches übrig
war, mußte aufhören, als die Strafen nicht mehr für die
Republik eingeklagt wurden, und die Uebertragung aller

72) Die Geldstrafe für den Wucher ward, wie die übrigen
eigentlichen Criminalbrüchen, für den Staat eingezogen,
und zu öffentlichen Zwecken verwandt: vielleicht eben so
für Diebstahl.
73) Varro de L. L. IV. c. 14.
74) Er war Vater des Beleidigten.
75) Noch 561.

wann 72), ſo konnte auch waͤhrend dieſer Zeit nicht nur
nicht jeder willkuͤhrlich, ſondern nicht einmal der unmit-
telbar Gekraͤnkte vor dem Volk anklagen. Es iſt ſichtbar,
daß es noch immer der einzige Gerichtsgang war, der Ma-
giſtratur, welche die Criminalinquiſition hatte, Anzeige zu
machen: daß ihre Losſprechung den Angeklagten von aller
Verfolgung befreyte: und daß ſie, wenn ſie Schuld
fand, die Sache vor dem Volksgericht anhaͤngig machte.

Nur die letzten Buͤcher der erſten livianiſchen Decade
koͤnnen uns die Criminalinquiſition in den Haͤnden der cu-
ruliſchen Aedilen zeigen; denn im elften war die Ein-
ſetzung der Triumviri capitales (gegen das Jahr 464) er-
zaͤhlt, auf welche ſie ſo uͤberging wie urſpruͤnglich die
Quaͤſtoren ſie gehabt hatten 73). Spaͤter iſt allerdings
der Fall des M. Marcellus, aber unter ganz eigenthuͤmli-
chen Umſtaͤnden 74): und man vergeſſe die Grundregel
nicht, daß einer roͤmiſchen Magiſtratur ihr urſpruͤnglich
gehoͤrende Attribute nie ſo entzogen wurden daß ſie nicht in
einzelnen Faͤllen wieder ausgeuͤbt werden konnten. Die
Wuchergeſetze wurden noch in der letzten Haͤlfte des ſech-
ſten Jahrhunderts durch dieſer Aedilen Sorgfalt in Kraft
erhalten 75). Auch dieſes, und was dem aͤhnliches uͤbrig
war, mußte aufhoͤren, als die Strafen nicht mehr fuͤr die
Republik eingeklagt wurden, und die Uebertragung aller

72) Die Geldſtrafe fuͤr den Wucher ward, wie die uͤbrigen
eigentlichen Criminalbruͤchen, fuͤr den Staat eingezogen,
und zu oͤffentlichen Zwecken verwandt: vielleicht eben ſo
fuͤr Diebſtahl.
73) Varro de L. L. IV. c. 14.
74) Er war Vater des Beleidigten.
75) Noch 561.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0434" n="418"/>
wann <note place="foot" n="72)">Die Geld&#x017F;trafe fu&#x0364;r den Wucher ward, wie die u&#x0364;brigen<lb/>
eigentlichen Criminalbru&#x0364;chen, fu&#x0364;r den Staat eingezogen,<lb/>
und zu o&#x0364;ffentlichen Zwecken verwandt: vielleicht eben &#x017F;o<lb/>
fu&#x0364;r Dieb&#x017F;tahl.</note>, &#x017F;o konnte auch wa&#x0364;hrend die&#x017F;er Zeit nicht nur<lb/>
nicht jeder willku&#x0364;hrlich, &#x017F;ondern nicht einmal der unmit-<lb/>
telbar Gekra&#x0364;nkte vor dem Volk anklagen. Es i&#x017F;t &#x017F;ichtbar,<lb/>
daß es noch immer der einzige Gerichtsgang war, der Ma-<lb/>
gi&#x017F;tratur, welche die Criminalinqui&#x017F;ition hatte, Anzeige zu<lb/>
machen: daß ihre Los&#x017F;prechung den Angeklagten von aller<lb/>
Verfolgung befreyte: und daß &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie Schuld<lb/>
fand, die Sache vor dem Volksgericht anha&#x0364;ngig machte.</p><lb/>
        <p>Nur die letzten Bu&#x0364;cher der er&#x017F;ten liviani&#x017F;chen Decade<lb/>
ko&#x0364;nnen uns die Criminalinqui&#x017F;ition in den Ha&#x0364;nden der cu-<lb/>
ruli&#x017F;chen Aedilen zeigen; denn im elften war die Ein-<lb/>
&#x017F;etzung der Triumviri capitales (gegen das Jahr 464) er-<lb/>
za&#x0364;hlt, auf welche &#x017F;ie &#x017F;o u&#x0364;berging wie ur&#x017F;pru&#x0364;nglich die<lb/>
Qua&#x0364;&#x017F;toren &#x017F;ie gehabt hatten <note place="foot" n="73)">Varro <hi rendition="#aq">de L. L. IV. c.</hi> 14.</note>. Spa&#x0364;ter i&#x017F;t allerdings<lb/>
der Fall des M. Marcellus, aber unter ganz eigenthu&#x0364;mli-<lb/>
chen Um&#x017F;ta&#x0364;nden <note place="foot" n="74)">Er war Vater des Beleidigten.</note>: und man verge&#x017F;&#x017F;e die Grundregel<lb/>
nicht, daß einer ro&#x0364;mi&#x017F;chen Magi&#x017F;tratur ihr ur&#x017F;pru&#x0364;nglich<lb/>
geho&#x0364;rende Attribute nie &#x017F;o entzogen wurden daß &#x017F;ie nicht in<lb/>
einzelnen Fa&#x0364;llen wieder ausgeu&#x0364;bt werden konnten. Die<lb/>
Wucherge&#x017F;etze wurden noch in der letzten Ha&#x0364;lfte des &#x017F;ech-<lb/>
&#x017F;ten Jahrhunderts durch die&#x017F;er Aedilen Sorgfalt in Kraft<lb/>
erhalten <note place="foot" n="75)">Noch 561.</note>. Auch die&#x017F;es, und was dem a&#x0364;hnliches u&#x0364;brig<lb/>
war, mußte aufho&#x0364;ren, als die Strafen nicht mehr fu&#x0364;r die<lb/>
Republik eingeklagt wurden, und die Uebertragung aller<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[418/0434] wann 72), ſo konnte auch waͤhrend dieſer Zeit nicht nur nicht jeder willkuͤhrlich, ſondern nicht einmal der unmit- telbar Gekraͤnkte vor dem Volk anklagen. Es iſt ſichtbar, daß es noch immer der einzige Gerichtsgang war, der Ma- giſtratur, welche die Criminalinquiſition hatte, Anzeige zu machen: daß ihre Losſprechung den Angeklagten von aller Verfolgung befreyte: und daß ſie, wenn ſie Schuld fand, die Sache vor dem Volksgericht anhaͤngig machte. Nur die letzten Buͤcher der erſten livianiſchen Decade koͤnnen uns die Criminalinquiſition in den Haͤnden der cu- ruliſchen Aedilen zeigen; denn im elften war die Ein- ſetzung der Triumviri capitales (gegen das Jahr 464) er- zaͤhlt, auf welche ſie ſo uͤberging wie urſpruͤnglich die Quaͤſtoren ſie gehabt hatten 73). Spaͤter iſt allerdings der Fall des M. Marcellus, aber unter ganz eigenthuͤmli- chen Umſtaͤnden 74): und man vergeſſe die Grundregel nicht, daß einer roͤmiſchen Magiſtratur ihr urſpruͤnglich gehoͤrende Attribute nie ſo entzogen wurden daß ſie nicht in einzelnen Faͤllen wieder ausgeuͤbt werden konnten. Die Wuchergeſetze wurden noch in der letzten Haͤlfte des ſech- ſten Jahrhunderts durch dieſer Aedilen Sorgfalt in Kraft erhalten 75). Auch dieſes, und was dem aͤhnliches uͤbrig war, mußte aufhoͤren, als die Strafen nicht mehr fuͤr die Republik eingeklagt wurden, und die Uebertragung aller 72) Die Geldſtrafe fuͤr den Wucher ward, wie die uͤbrigen eigentlichen Criminalbruͤchen, fuͤr den Staat eingezogen, und zu oͤffentlichen Zwecken verwandt: vielleicht eben ſo fuͤr Diebſtahl. 73) Varro de L. L. IV. c. 14. 74) Er war Vater des Beleidigten. 75) Noch 561.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/434
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/434>, abgerufen am 22.11.2024.