ihnen tribunicische Intercession zu Gebot stand, entbehr- lich gewesen waren.
Camillus ward zum Dictator ernannt, und begann an dem zur Abstimmung angekündigten Tage ein Heer zu conscribiren 59). Er befahl unter fürchterlichen Drohun- gen daß das Volk, welches schon angefangen hatte zu stimmen, sich aus dem Comitium entfernen solle: er ge- bot den Lictoren Gewalt zu gebrauchen. Den Schrecknis- sen der dictatorischen Macht setzten die Volkstribunen ru- hige Entschlossenheit entgegen. Die Abstimmung über die Gesetze war gestört 60); aber das Volk beschloß auf ihren Antrag daß Camillus, wenn er als Dictator handle, in eine Mult von 500000 Assen verfallen seyn solle. Die Dictatur besaß ihre Allmacht nur durch den freyen und ehrerbietigen Gehorsam Aller, die den Einzelnen Preis gab. Daher ist es sehr begreiflich daß sie in dieser Gäh- rung ohnmächtig war, und Camillus, dem Sturm wei- chend, abdankte: Livius Zweifel an der Möglichkeit so großer Kühnheit eines Tribunen und an ihrem Erfolg sieht nur auf gewöhnliche Zeiten. Wären ihm, indem er die Jahrgeschichten fortrückend nach den Aelteren schrieb, die Vorfälle der fast unmittelbar folgenden Jahre schon be- kannt und gegenwärtig gewesen, so hätte er erwägen müssen daß auch im Jahr 392 der Dictator L. Manlius
59) Plutarch Camill. p. 150. A.
60) Es war gesetzwidrig eine in der Gemeinde unterbrochene Verhandlung an demselben Tage zu erneuern: wenn aber das Volk sich nicht stören ließ einen neuen Antrag schleunig anzunehmen, so ist hier kein Widerspruch.
ihnen tribuniciſche Interceſſion zu Gebot ſtand, entbehr- lich geweſen waren.
Camillus ward zum Dictator ernannt, und begann an dem zur Abſtimmung angekuͤndigten Tage ein Heer zu conſcribiren 59). Er befahl unter fuͤrchterlichen Drohun- gen daß das Volk, welches ſchon angefangen hatte zu ſtimmen, ſich aus dem Comitium entfernen ſolle: er ge- bot den Lictoren Gewalt zu gebrauchen. Den Schreckniſ- ſen der dictatoriſchen Macht ſetzten die Volkstribunen ru- hige Entſchloſſenheit entgegen. Die Abſtimmung uͤber die Geſetze war geſtoͤrt 60); aber das Volk beſchloß auf ihren Antrag daß Camillus, wenn er als Dictator handle, in eine Mult von 500000 Aſſen verfallen ſeyn ſolle. Die Dictatur beſaß ihre Allmacht nur durch den freyen und ehrerbietigen Gehorſam Aller, die den Einzelnen Preis gab. Daher iſt es ſehr begreiflich daß ſie in dieſer Gaͤh- rung ohnmaͤchtig war, und Camillus, dem Sturm wei- chend, abdankte: Livius Zweifel an der Moͤglichkeit ſo großer Kuͤhnheit eines Tribunen und an ihrem Erfolg ſieht nur auf gewoͤhnliche Zeiten. Waͤren ihm, indem er die Jahrgeſchichten fortruͤckend nach den Aelteren ſchrieb, die Vorfaͤlle der faſt unmittelbar folgenden Jahre ſchon be- kannt und gegenwaͤrtig geweſen, ſo haͤtte er erwaͤgen muͤſſen daß auch im Jahr 392 der Dictator L. Manlius
59) Plutarch Camill. p. 150. A.
60) Es war geſetzwidrig eine in der Gemeinde unterbrochene Verhandlung an demſelben Tage zu erneuern: wenn aber das Volk ſich nicht ſtoͤren ließ einen neuen Antrag ſchleunig anzunehmen, ſo iſt hier kein Widerſpruch.
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ihnen tribuniciſche Interceſſion zu Gebot ſtand, entbehr-
lich geweſen waren.
Camillus ward zum Dictator ernannt, und begann
an dem zur Abſtimmung angekuͤndigten Tage ein Heer zu
conſcribiren 59). Er befahl unter fuͤrchterlichen Drohun-
gen daß das Volk, welches ſchon angefangen hatte zu
ſtimmen, ſich aus dem Comitium entfernen ſolle: er ge-
bot den Lictoren Gewalt zu gebrauchen. Den Schreckniſ-
ſen der dictatoriſchen Macht ſetzten die Volkstribunen ru-
hige Entſchloſſenheit entgegen. Die Abſtimmung uͤber die
Geſetze war geſtoͤrt 60); aber das Volk beſchloß auf ihren
Antrag daß Camillus, wenn er als Dictator handle, in
eine Mult von 500000 Aſſen verfallen ſeyn ſolle. Die
Dictatur beſaß ihre Allmacht nur durch den freyen und
ehrerbietigen Gehorſam Aller, die den Einzelnen Preis
gab. Daher iſt es ſehr begreiflich daß ſie in dieſer Gaͤh-
rung ohnmaͤchtig war, und Camillus, dem Sturm wei-
chend, abdankte: Livius Zweifel an der Moͤglichkeit ſo
großer Kuͤhnheit eines Tribunen und an ihrem Erfolg ſieht
nur auf gewoͤhnliche Zeiten. Waͤren ihm, indem er die
Jahrgeſchichten fortruͤckend nach den Aelteren ſchrieb, die
Vorfaͤlle der faſt unmittelbar folgenden Jahre ſchon be-
kannt und gegenwaͤrtig geweſen, ſo haͤtte er erwaͤgen
muͤſſen daß auch im Jahr 392 der Dictator L. Manlius
59) Plutarch Camill. p. 150. A.
60) Es war geſetzwidrig eine in der Gemeinde unterbrochene
Verhandlung an demſelben Tage zu erneuern: wenn aber
das Volk ſich nicht ſtoͤren ließ einen neuen Antrag
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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