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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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gemeinde zu hindern; vielleicht sehr rechtliche neue-
rungsscheue Männer. Als Licinius und Sextius die
Gemeinde an dem bestimmten Tage berufen hatten, un-
tersagten diese die Verlesung der Rogationen, welche
der Abstimmung vorhergehen mußte. Verlesen vor der
Volksgemeinde konnte nur ein Schreiber, über dessen
Ungehorsam nach der Willkühr des widersprechenden
Volkstribunen Todesstrafe verhängt war: die geheilig-
ten Tribunen konnten den Widerspruch nicht dadurch
vereiteln daß sie selbst die Tafeln nahmen. Denn die
Gewalt ihres Amts war ganz persönlich, sie herrschten
dadurch daß nichts unternommen werden konnte, wo
nicht der Tod die Strafe des ihrem Willen Ungehorsa-
men geworden wäre; und daher zerstörte allerdings in
dem letzten Zeitalter der Republik C. Cornelius die
Kraft der Intercession, indem er selbst, als sein Diener
dem Verbot weichen mußte, den Entwurf eines Gesetzes
verlas 56). Dem Volk konnte kein Tribun das Abstim-
men verwehren: er war ja nur dessen Repräsentant:
auch seinem Collegen nichts unmittelbar untersagen, denn
er konnte ihn nicht strafen: aber bis zu dem Augenblick
in dem sich die Tribus absonderten konnte er die Ab-
stimmung bey jedem den Dienern zukommenden Ge-
schäft, welches vorher vollendet seyn mußte, stören und
unmöglich machen 57).

Also unüberwindlich gehindert, und nicht keck wie
Cornelius, waren die Urheber der Gesetze ihrer Gegner

56) Asconius in argum. Cornelianae.
57) Cicero fragm. Cornelianae und Asconius im Commentar.

gemeinde zu hindern; vielleicht ſehr rechtliche neue-
rungsſcheue Maͤnner. Als Licinius und Sextius die
Gemeinde an dem beſtimmten Tage berufen hatten, un-
terſagten dieſe die Verleſung der Rogationen, welche
der Abſtimmung vorhergehen mußte. Verleſen vor der
Volksgemeinde konnte nur ein Schreiber, uͤber deſſen
Ungehorſam nach der Willkuͤhr des widerſprechenden
Volkstribunen Todesſtrafe verhaͤngt war: die geheilig-
ten Tribunen konnten den Widerſpruch nicht dadurch
vereiteln daß ſie ſelbſt die Tafeln nahmen. Denn die
Gewalt ihres Amts war ganz perſoͤnlich, ſie herrſchten
dadurch daß nichts unternommen werden konnte, wo
nicht der Tod die Strafe des ihrem Willen Ungehorſa-
men geworden waͤre; und daher zerſtoͤrte allerdings in
dem letzten Zeitalter der Republik C. Cornelius die
Kraft der Interceſſion, indem er ſelbſt, als ſein Diener
dem Verbot weichen mußte, den Entwurf eines Geſetzes
verlas 56). Dem Volk konnte kein Tribun das Abſtim-
men verwehren: er war ja nur deſſen Repraͤſentant:
auch ſeinem Collegen nichts unmittelbar unterſagen, denn
er konnte ihn nicht ſtrafen: aber bis zu dem Augenblick
in dem ſich die Tribus abſonderten konnte er die Ab-
ſtimmung bey jedem den Dienern zukommenden Ge-
ſchaͤft, welches vorher vollendet ſeyn mußte, ſtoͤren und
unmoͤglich machen 57).

Alſo unuͤberwindlich gehindert, und nicht keck wie
Cornelius, waren die Urheber der Geſetze ihrer Gegner

56) Aſconius in argum. Cornelianæ.
57) Cicero fragm. Cornelianæ und Aſconius im Commentar.
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[407/0423] gemeinde zu hindern; vielleicht ſehr rechtliche neue- rungsſcheue Maͤnner. Als Licinius und Sextius die Gemeinde an dem beſtimmten Tage berufen hatten, un- terſagten dieſe die Verleſung der Rogationen, welche der Abſtimmung vorhergehen mußte. Verleſen vor der Volksgemeinde konnte nur ein Schreiber, uͤber deſſen Ungehorſam nach der Willkuͤhr des widerſprechenden Volkstribunen Todesſtrafe verhaͤngt war: die geheilig- ten Tribunen konnten den Widerſpruch nicht dadurch vereiteln daß ſie ſelbſt die Tafeln nahmen. Denn die Gewalt ihres Amts war ganz perſoͤnlich, ſie herrſchten dadurch daß nichts unternommen werden konnte, wo nicht der Tod die Strafe des ihrem Willen Ungehorſa- men geworden waͤre; und daher zerſtoͤrte allerdings in dem letzten Zeitalter der Republik C. Cornelius die Kraft der Interceſſion, indem er ſelbſt, als ſein Diener dem Verbot weichen mußte, den Entwurf eines Geſetzes verlas 56). Dem Volk konnte kein Tribun das Abſtim- men verwehren: er war ja nur deſſen Repraͤſentant: auch ſeinem Collegen nichts unmittelbar unterſagen, denn er konnte ihn nicht ſtrafen: aber bis zu dem Augenblick in dem ſich die Tribus abſonderten konnte er die Ab- ſtimmung bey jedem den Dienern zukommenden Ge- ſchaͤft, welches vorher vollendet ſeyn mußte, ſtoͤren und unmoͤglich machen 57). Alſo unuͤberwindlich gehindert, und nicht keck wie Cornelius, waren die Urheber der Geſetze ihrer Gegner 56) Aſconius in argum. Cornelianæ. 57) Cicero fragm. Cornelianæ und Aſconius im Commentar.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/423>, abgerufen am 22.11.2024.