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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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daß der Staat sich in die Verhältnisse der Schuldner und
Gläubiger mischen dürfe, während, nach unsern Ansichten,
ein Vermögen, hingegeben unter den Schutz bestehender
Gesetze, und der Wachsamkeit des Eigenthümers entzo-
gen, eben dadurch, wie jeder Wehrlose, größere Unver-
letzlichkeit und Heiligkeit gewonnen hat. Doch auch im
Alterthum konnte nur die reinste Prüfung seiner Einsicht
und seines Willens den Urheber solcher Gesetze beruhigen
und rechtfertigen: vor allem aber daß er selbst, und nicht
in geringem Maaß, durch die von ihm ausgehenden Be-
schlüsse verlohr. Hätten sie ihn gar nicht getroffen, so
konnte er leichtsinnig über das Vermögen Anderer schal-
ten: entzog er sich ihren Schlägen, so war er fast so
verworfen als wenn ihm Vortheil daraus entstand. Der
spätere Reichthum der licinischen Familie, wodurch sie
schon im hannibalischen Krieg beyde Stände übertraf,
der sehr große Landbesitz des Tribunen selbst, und das
Stillschweigen jeder Beschuldigung, machen es fast gewiß
daß C. Licinius nicht eigennützig gehandelt habe. Ueber-
haupt vertraute sich die römische Nation nur wohlha-
benden und wohlbehaltenen Männern: auch die Armuth
des großen, keinem Schein dienenden, Mannes ist in
dem bedürfnißlosen Süden wohlhabend genug: Curius
und Fabricius mangelte nichts.

Widerrechtlich wie das licinische Schuldgesetz war,
ist dennoch der Umfang seiner Schädlichkeit so viel ge-
ringer gewesen als der jedes Eingriffs eines neueren
Staats in die Schuldrechte seyn würde, wie die Art
und der Umfang der Verschuldung in der alten römi-

C c 2

daß der Staat ſich in die Verhaͤltniſſe der Schuldner und
Glaͤubiger miſchen duͤrfe, waͤhrend, nach unſern Anſichten,
ein Vermoͤgen, hingegeben unter den Schutz beſtehender
Geſetze, und der Wachſamkeit des Eigenthuͤmers entzo-
gen, eben dadurch, wie jeder Wehrloſe, groͤßere Unver-
letzlichkeit und Heiligkeit gewonnen hat. Doch auch im
Alterthum konnte nur die reinſte Pruͤfung ſeiner Einſicht
und ſeines Willens den Urheber ſolcher Geſetze beruhigen
und rechtfertigen: vor allem aber daß er ſelbſt, und nicht
in geringem Maaß, durch die von ihm ausgehenden Be-
ſchluͤſſe verlohr. Haͤtten ſie ihn gar nicht getroffen, ſo
konnte er leichtſinnig uͤber das Vermoͤgen Anderer ſchal-
ten: entzog er ſich ihren Schlaͤgen, ſo war er faſt ſo
verworfen als wenn ihm Vortheil daraus entſtand. Der
ſpaͤtere Reichthum der liciniſchen Familie, wodurch ſie
ſchon im hannibaliſchen Krieg beyde Staͤnde uͤbertraf,
der ſehr große Landbeſitz des Tribunen ſelbſt, und das
Stillſchweigen jeder Beſchuldigung, machen es faſt gewiß
daß C. Licinius nicht eigennuͤtzig gehandelt habe. Ueber-
haupt vertraute ſich die roͤmiſche Nation nur wohlha-
benden und wohlbehaltenen Maͤnnern: auch die Armuth
des großen, keinem Schein dienenden, Mannes iſt in
dem beduͤrfnißloſen Suͤden wohlhabend genug: Curius
und Fabricius mangelte nichts.

Widerrechtlich wie das liciniſche Schuldgeſetz war,
iſt dennoch der Umfang ſeiner Schaͤdlichkeit ſo viel ge-
ringer geweſen als der jedes Eingriffs eines neueren
Staats in die Schuldrechte ſeyn wuͤrde, wie die Art
und der Umfang der Verſchuldung in der alten roͤmi-

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[403/0419] daß der Staat ſich in die Verhaͤltniſſe der Schuldner und Glaͤubiger miſchen duͤrfe, waͤhrend, nach unſern Anſichten, ein Vermoͤgen, hingegeben unter den Schutz beſtehender Geſetze, und der Wachſamkeit des Eigenthuͤmers entzo- gen, eben dadurch, wie jeder Wehrloſe, groͤßere Unver- letzlichkeit und Heiligkeit gewonnen hat. Doch auch im Alterthum konnte nur die reinſte Pruͤfung ſeiner Einſicht und ſeines Willens den Urheber ſolcher Geſetze beruhigen und rechtfertigen: vor allem aber daß er ſelbſt, und nicht in geringem Maaß, durch die von ihm ausgehenden Be- ſchluͤſſe verlohr. Haͤtten ſie ihn gar nicht getroffen, ſo konnte er leichtſinnig uͤber das Vermoͤgen Anderer ſchal- ten: entzog er ſich ihren Schlaͤgen, ſo war er faſt ſo verworfen als wenn ihm Vortheil daraus entſtand. Der ſpaͤtere Reichthum der liciniſchen Familie, wodurch ſie ſchon im hannibaliſchen Krieg beyde Staͤnde uͤbertraf, der ſehr große Landbeſitz des Tribunen ſelbſt, und das Stillſchweigen jeder Beſchuldigung, machen es faſt gewiß daß C. Licinius nicht eigennuͤtzig gehandelt habe. Ueber- haupt vertraute ſich die roͤmiſche Nation nur wohlha- benden und wohlbehaltenen Maͤnnern: auch die Armuth des großen, keinem Schein dienenden, Mannes iſt in dem beduͤrfnißloſen Suͤden wohlhabend genug: Curius und Fabricius mangelte nichts. Widerrechtlich wie das liciniſche Schuldgeſetz war, iſt dennoch der Umfang ſeiner Schaͤdlichkeit ſo viel ge- ringer geweſen als der jedes Eingriffs eines neueren Staats in die Schuldrechte ſeyn wuͤrde, wie die Art und der Umfang der Verſchuldung in der alten roͤmi- C c 2

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/419>, abgerufen am 22.11.2024.