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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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den angeführten Stellen klar. Jener erste war den späte-
ren Landmessern unbekannt geworden; weil aber Nord
und Süd die Richtung des Kardo ist, der Hauptlinie die-
ser Eintheilung, scheint er gerade der älteste gewesen
zu seyn.

Der älteste Feldmesser war unstreitig ein Augur,
begleitet von etruskischen Priestern, oder ihren Schü-
lern, denn diese waren gewiß allein im Besitz der we-
nigen mathematischen Kenntnisse welche Rom zum Haus-
gebrauch aus dem vielleicht reichen Schatz Etruriens er-
borgte. Der Augur, welcher auf seinem Standpunkt
die im Senatsbeschluß oder Volksgesetz bestimmten Grän-
zen im Sinn faßte, -- vorsichtig gegen ein Versehen der
Rede die Inauguration durch den Vorbehalt zu schützen,
es gelte was er meine, -- dieser fehlte bey den Assigna-
tionen der Kaiserzeit. Da nahm der Feldmesser seine
Stelle ein: auch dieser begann damit sich zu orientiren,
und zwar nach den wahren Weltgegenden, nicht nach
dem zufälligen Ort des Aufgangs und Niedergangs der
Sonne. Letzteres ist allerdings doch zuweilen geschehen;
ein Beweis von der Rohheit der einheimischen römi-
schen Meßkünstler 27). Hierauf zog er die Hauptlinie
von Mittag nach Mitternacht, welche, als der Weltaxe
entsprechend, Kardo genannt ward. Die welche sie
rechtwinklich durchschnitt trug den Nahmen Decuma-
nus,
wahrscheinlich von der Kreuzform der Durchschnei-
dung die dem Zahlzeichen X entspricht, wie decussatus.
Diese beyden Hauptlinien wurden bis an die Gränze

27) Hyginus de limitib. p. 153.

den angefuͤhrten Stellen klar. Jener erſte war den ſpaͤte-
ren Landmeſſern unbekannt geworden; weil aber Nord
und Suͤd die Richtung des Kardo iſt, der Hauptlinie die-
ſer Eintheilung, ſcheint er gerade der aͤlteſte geweſen
zu ſeyn.

Der aͤlteſte Feldmeſſer war unſtreitig ein Augur,
begleitet von etruskiſchen Prieſtern, oder ihren Schuͤ-
lern, denn dieſe waren gewiß allein im Beſitz der we-
nigen mathematiſchen Kenntniſſe welche Rom zum Haus-
gebrauch aus dem vielleicht reichen Schatz Etruriens er-
borgte. Der Augur, welcher auf ſeinem Standpunkt
die im Senatsbeſchluß oder Volksgeſetz beſtimmten Graͤn-
zen im Sinn faßte, — vorſichtig gegen ein Verſehen der
Rede die Inauguration durch den Vorbehalt zu ſchuͤtzen,
es gelte was er meine, — dieſer fehlte bey den Aſſigna-
tionen der Kaiſerzeit. Da nahm der Feldmeſſer ſeine
Stelle ein: auch dieſer begann damit ſich zu orientiren,
und zwar nach den wahren Weltgegenden, nicht nach
dem zufaͤlligen Ort des Aufgangs und Niedergangs der
Sonne. Letzteres iſt allerdings doch zuweilen geſchehen;
ein Beweis von der Rohheit der einheimiſchen roͤmi-
ſchen Meßkuͤnſtler 27). Hierauf zog er die Hauptlinie
von Mittag nach Mitternacht, welche, als der Weltaxe
entſprechend, Kardo genannt ward. Die welche ſie
rechtwinklich durchſchnitt trug den Nahmen Decuma-
nus,
wahrſcheinlich von der Kreuzform der Durchſchnei-
dung die dem Zahlzeichen X entſpricht, wie decussatus.
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27) Hyginus de limitib. p. 153.
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[386/0402] den angefuͤhrten Stellen klar. Jener erſte war den ſpaͤte- ren Landmeſſern unbekannt geworden; weil aber Nord und Suͤd die Richtung des Kardo iſt, der Hauptlinie die- ſer Eintheilung, ſcheint er gerade der aͤlteſte geweſen zu ſeyn. Der aͤlteſte Feldmeſſer war unſtreitig ein Augur, begleitet von etruskiſchen Prieſtern, oder ihren Schuͤ- lern, denn dieſe waren gewiß allein im Beſitz der we- nigen mathematiſchen Kenntniſſe welche Rom zum Haus- gebrauch aus dem vielleicht reichen Schatz Etruriens er- borgte. Der Augur, welcher auf ſeinem Standpunkt die im Senatsbeſchluß oder Volksgeſetz beſtimmten Graͤn- zen im Sinn faßte, — vorſichtig gegen ein Verſehen der Rede die Inauguration durch den Vorbehalt zu ſchuͤtzen, es gelte was er meine, — dieſer fehlte bey den Aſſigna- tionen der Kaiſerzeit. Da nahm der Feldmeſſer ſeine Stelle ein: auch dieſer begann damit ſich zu orientiren, und zwar nach den wahren Weltgegenden, nicht nach dem zufaͤlligen Ort des Aufgangs und Niedergangs der Sonne. Letzteres iſt allerdings doch zuweilen geſchehen; ein Beweis von der Rohheit der einheimiſchen roͤmi- ſchen Meßkuͤnſtler 27). Hierauf zog er die Hauptlinie von Mittag nach Mitternacht, welche, als der Weltaxe entſprechend, Kardo genannt ward. Die welche ſie rechtwinklich durchſchnitt trug den Nahmen Decuma- nus, wahrſcheinlich von der Kreuzform der Durchſchnei- dung die dem Zahlzeichen X entſpricht, wie decussatus. Dieſe beyden Hauptlinien wurden bis an die Graͤnze 27) Hyginus de limitib. p. 153.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/402>, abgerufen am 22.11.2024.