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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Reine, oder Wege, bezeichnet; und ihre Winkel durch
eine Reihe unverkennbarer Steine bestimmt und gezählt.

Die Ziehung der Grundlinien beruht auf etruskischer
Theologie und Aruspicin. Wie das Himmelsgewölbe
templum hieß, und der ursprüngliche Begriff eines Tem-
pels war, so ist auf der Erde ein Tempel, was der Augur
in seinem Gemüth, nach den Weltgegenden, soweit der
Blick trägt, als ein Ganzes zum Behuf der Auspicien ab-
gegränzt hat. Nur in einem Tempel konnten Auspicien
und Augurien genommen werden; aber die ganze Stadt
war -- durch die ursprüngliche Inauguration -- ein
Tempel: auch ein Lager war ein Tempel, weil in ihm Au-
spicien wahrgenommen werden mußten: daher waren
Mauern und Thore sancta: daher die Unveränderlichkeit
des Pomörium. Denn alles was auf diese Weise bestimmt
war sollte unverrücklich seyn, wenn es nicht durch stär-
kere Auspicien aufgehoben ward; aber geheiligt war es
nicht: hingegen waren auch die Kirchen der Götter -- für
ein einziges Mal muß dieser Ausdruck erlaubt seyn --
nicht nothwendig Tempel, nicht in allen konnten Auspi-
cien genommen werden: -- und wieder waren viele Tempel
den Göttern nicht geweiht, also auch nicht heilig, wie
Varro lehrt 16). Doch müssen wir dem Sprachgebrauch,
obgleich er falsch ist, gehorchen, vornämlich um keinen
anstößigen Ausdruck zu gebrauchen, und die den Göttern
geweihten Gebäude ohne Unterschied, und nach dem Zu-
fälligen als wäre es die Hauptsache, Tempel nennen.
Eben so war nun ein ganzes, zur Theilung durch Auspi-

16) Varro de L. L. VI. c. 2.

Reine, oder Wege, bezeichnet; und ihre Winkel durch
eine Reihe unverkennbarer Steine beſtimmt und gezaͤhlt.

Die Ziehung der Grundlinien beruht auf etruskiſcher
Theologie und Aruſpicin. Wie das Himmelsgewoͤlbe
templum hieß, und der urſpruͤngliche Begriff eines Tem-
pels war, ſo iſt auf der Erde ein Tempel, was der Augur
in ſeinem Gemuͤth, nach den Weltgegenden, ſoweit der
Blick traͤgt, als ein Ganzes zum Behuf der Auſpicien ab-
gegraͤnzt hat. Nur in einem Tempel konnten Auſpicien
und Augurien genommen werden; aber die ganze Stadt
war — durch die urſpruͤngliche Inauguration — ein
Tempel: auch ein Lager war ein Tempel, weil in ihm Au-
ſpicien wahrgenommen werden mußten: daher waren
Mauern und Thore sancta: daher die Unveraͤnderlichkeit
des Pomoͤrium. Denn alles was auf dieſe Weiſe beſtimmt
war ſollte unverruͤcklich ſeyn, wenn es nicht durch ſtaͤr-
kere Auſpicien aufgehoben ward; aber geheiligt war es
nicht: hingegen waren auch die Kirchen der Goͤtter — fuͤr
ein einziges Mal muß dieſer Ausdruck erlaubt ſeyn —
nicht nothwendig Tempel, nicht in allen konnten Auſpi-
cien genommen werden: — und wieder waren viele Tempel
den Goͤttern nicht geweiht, alſo auch nicht heilig, wie
Varro lehrt 16). Doch muͤſſen wir dem Sprachgebrauch,
obgleich er falſch iſt, gehorchen, vornaͤmlich um keinen
anſtoͤßigen Ausdruck zu gebrauchen, und die den Goͤttern
geweihten Gebaͤude ohne Unterſchied, und nach dem Zu-
faͤlligen als waͤre es die Hauptſache, Tempel nennen.
Eben ſo war nun ein ganzes, zur Theilung durch Auſpi-

16) Varro de L. L. VI. c. 2.
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[383/0399] Reine, oder Wege, bezeichnet; und ihre Winkel durch eine Reihe unverkennbarer Steine beſtimmt und gezaͤhlt. Die Ziehung der Grundlinien beruht auf etruskiſcher Theologie und Aruſpicin. Wie das Himmelsgewoͤlbe templum hieß, und der urſpruͤngliche Begriff eines Tem- pels war, ſo iſt auf der Erde ein Tempel, was der Augur in ſeinem Gemuͤth, nach den Weltgegenden, ſoweit der Blick traͤgt, als ein Ganzes zum Behuf der Auſpicien ab- gegraͤnzt hat. Nur in einem Tempel konnten Auſpicien und Augurien genommen werden; aber die ganze Stadt war — durch die urſpruͤngliche Inauguration — ein Tempel: auch ein Lager war ein Tempel, weil in ihm Au- ſpicien wahrgenommen werden mußten: daher waren Mauern und Thore sancta: daher die Unveraͤnderlichkeit des Pomoͤrium. Denn alles was auf dieſe Weiſe beſtimmt war ſollte unverruͤcklich ſeyn, wenn es nicht durch ſtaͤr- kere Auſpicien aufgehoben ward; aber geheiligt war es nicht: hingegen waren auch die Kirchen der Goͤtter — fuͤr ein einziges Mal muß dieſer Ausdruck erlaubt ſeyn — nicht nothwendig Tempel, nicht in allen konnten Auſpi- cien genommen werden: — und wieder waren viele Tempel den Goͤttern nicht geweiht, alſo auch nicht heilig, wie Varro lehrt 16). Doch muͤſſen wir dem Sprachgebrauch, obgleich er falſch iſt, gehorchen, vornaͤmlich um keinen anſtoͤßigen Ausdruck zu gebrauchen, und die den Goͤttern geweihten Gebaͤude ohne Unterſchied, und nach dem Zu- faͤlligen als waͤre es die Hauptſache, Tempel nennen. Eben ſo war nun ein ganzes, zur Theilung durch Auſpi- 16) Varro de L. L. VI. c. 2.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/399>, abgerufen am 25.11.2024.