Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeiten entstand wo bürgerliche Macht wenigstens nicht
der untergeordnete Zweck der meisten Großen war, und
das allgemeine Wohl Roms und Italiens mehr galt als
des Einzelnen Gewinn, mußte aufhören als Habsucht und
Bereicherung der einzige Gegenstand der Wünsche wur-
den. Da geschah es, was Tiberius Gracchus bejam-
merte, daß die kleinen Leute aus ihren Besitzungen ver-
trieben, und diese zu Weiden verwandelt wurden 91): da
trauerte Horaz über die Ausstoßung der armen Clienten
aus der väterlichen Hütte 92).


91) Appian a. a. O. Plutarch, Gracch. p. 828. D. Schon
Sir Thomas More schrieb, Schaafe wären für den Land-
mann furchtbarere Raubthiere als Wölfe. In den Hoch-
landen haben die Einwohner vieler Dörfer auswandern
müssen, weil der Gutsherr die Schaafzucht einträglicher
fand: elfhundert gingen von einem einzigen Gut nach Canada.
92) Horaz Carm. II. 18.
Deine Habsucht, nimmer satt,
Verrückt den Markstein jedes nahen Ackers:
Und du überschreitest stets
Des Schützlings Gränzrein: ausgestoßen wandern
Weib und Mann: er trägt im Schooß
Der Väter Hausgott und die armen Kinder.
Wehe einer Nation wenn der alte Feudalstolz erlosch, und der
Gewinnsucht wich, alles nur als Speculation berechnet wird,
Liebe und von Geschlecht zu Geschlecht ererbte Anhänglich-
keit keinen Reiz mehr haben, Güter eine jedem Wucherer
käufliche Waare werden: wenn dann nicht die Verhältnisse
des Bauern zum Gutsherrn und sein eigenthümlicher Be-
sitz schon unverrückbar. festgesetzt sind. Eine Bettelfreyheit
hilft nicht.

Zeiten entſtand wo buͤrgerliche Macht wenigſtens nicht
der untergeordnete Zweck der meiſten Großen war, und
das allgemeine Wohl Roms und Italiens mehr galt als
des Einzelnen Gewinn, mußte aufhoͤren als Habſucht und
Bereicherung der einzige Gegenſtand der Wuͤnſche wur-
den. Da geſchah es, was Tiberius Gracchus bejam-
merte, daß die kleinen Leute aus ihren Beſitzungen ver-
trieben, und dieſe zu Weiden verwandelt wurden 91): da
trauerte Horaz uͤber die Ausſtoßung der armen Clienten
aus der vaͤterlichen Huͤtte 92).


91) Appian a. a. O. Plutarch, Gracch. p. 828. D. Schon
Sir Thomas More ſchrieb, Schaafe waͤren fuͤr den Land-
mann furchtbarere Raubthiere als Woͤlfe. In den Hoch-
landen haben die Einwohner vieler Doͤrfer auswandern
muͤſſen, weil der Gutsherr die Schaafzucht eintraͤglicher
fand: elfhundert gingen von einem einzigen Gut nach Canada.
92) Horaz Carm. II. 18.
Deine Habſucht, nimmer ſatt,
Verruͤckt den Markſtein jedes nahen Ackers:
Und du uͤberſchreiteſt ſtets
Des Schuͤtzlings Graͤnzrein: ausgeſtoßen wandern
Weib und Mann: er traͤgt im Schooß
Der Vaͤter Hausgott und die armen Kinder.
Wehe einer Nation wenn der alte Feudalſtolz erloſch, und der
Gewinnſucht wich, alles nur als Speculation berechnet wird,
Liebe und von Geſchlecht zu Geſchlecht ererbte Anhaͤnglich-
keit keinen Reiz mehr haben, Guͤter eine jedem Wucherer
kaͤufliche Waare werden: wenn dann nicht die Verhaͤltniſſe
des Bauern zum Gutsherrn und ſein eigenthuͤmlicher Be-
ſitz ſchon unverruͤckbar. feſtgeſetzt ſind. Eine Bettelfreyheit
hilft nicht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0388" n="372"/>
Zeiten ent&#x017F;tand wo bu&#x0364;rgerliche Macht wenig&#x017F;tens nicht<lb/>
der untergeordnete Zweck der mei&#x017F;ten Großen war, und<lb/>
das allgemeine Wohl Roms und Italiens mehr galt als<lb/>
des Einzelnen Gewinn, mußte aufho&#x0364;ren als Hab&#x017F;ucht und<lb/>
Bereicherung der einzige Gegen&#x017F;tand der Wu&#x0364;n&#x017F;che wur-<lb/>
den. Da ge&#x017F;chah es, was Tiberius Gracchus bejam-<lb/>
merte, daß die kleinen Leute aus ihren Be&#x017F;itzungen ver-<lb/>
trieben, und die&#x017F;e zu Weiden verwandelt wurden <note place="foot" n="91)">Appian a. a. O. Plutarch, <hi rendition="#aq">Gracch. p. 828. D.</hi> Schon<lb/>
Sir Thomas More &#x017F;chrieb, Schaafe wa&#x0364;ren fu&#x0364;r den Land-<lb/>
mann furchtbarere Raubthiere als Wo&#x0364;lfe. In den Hoch-<lb/>
landen haben die Einwohner vieler Do&#x0364;rfer auswandern<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, weil der Gutsherr die Schaafzucht eintra&#x0364;glicher<lb/>
fand: elfhundert gingen von einem einzigen Gut nach Canada.</note>: da<lb/>
trauerte Horaz u&#x0364;ber die Aus&#x017F;toßung der armen Clienten<lb/>
aus der va&#x0364;terlichen Hu&#x0364;tte <note place="foot" n="92)">Horaz <hi rendition="#aq">Carm. II.</hi> 18.<lb/>
Deine Hab&#x017F;ucht, nimmer &#x017F;att,<lb/>
Verru&#x0364;ckt den Mark&#x017F;tein jedes nahen Ackers:<lb/>
Und du u&#x0364;ber&#x017F;chreite&#x017F;t &#x017F;tets<lb/>
Des Schu&#x0364;tzlings Gra&#x0364;nzrein: ausge&#x017F;toßen wandern<lb/>
Weib und Mann: er tra&#x0364;gt im Schooß<lb/>
Der Va&#x0364;ter Hausgott und die armen Kinder.<lb/>
Wehe einer Nation wenn der alte Feudal&#x017F;tolz erlo&#x017F;ch, und der<lb/>
Gewinn&#x017F;ucht wich, alles nur als Speculation berechnet wird,<lb/>
Liebe und von Ge&#x017F;chlecht zu Ge&#x017F;chlecht ererbte Anha&#x0364;nglich-<lb/>
keit keinen Reiz mehr haben, Gu&#x0364;ter eine jedem Wucherer<lb/>
ka&#x0364;ufliche Waare werden: wenn dann nicht die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
des Bauern zum Gutsherrn und &#x017F;ein eigenthu&#x0364;mlicher Be-<lb/>
&#x017F;itz &#x017F;chon unverru&#x0364;ckbar. fe&#x017F;tge&#x017F;etzt &#x017F;ind. Eine Bettelfreyheit<lb/>
hilft nicht.</note>.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[372/0388] Zeiten entſtand wo buͤrgerliche Macht wenigſtens nicht der untergeordnete Zweck der meiſten Großen war, und das allgemeine Wohl Roms und Italiens mehr galt als des Einzelnen Gewinn, mußte aufhoͤren als Habſucht und Bereicherung der einzige Gegenſtand der Wuͤnſche wur- den. Da geſchah es, was Tiberius Gracchus bejam- merte, daß die kleinen Leute aus ihren Beſitzungen ver- trieben, und dieſe zu Weiden verwandelt wurden 91): da trauerte Horaz uͤber die Ausſtoßung der armen Clienten aus der vaͤterlichen Huͤtte 92). 91) Appian a. a. O. Plutarch, Gracch. p. 828. D. Schon Sir Thomas More ſchrieb, Schaafe waͤren fuͤr den Land- mann furchtbarere Raubthiere als Woͤlfe. In den Hoch- landen haben die Einwohner vieler Doͤrfer auswandern muͤſſen, weil der Gutsherr die Schaafzucht eintraͤglicher fand: elfhundert gingen von einem einzigen Gut nach Canada. 92) Horaz Carm. II. 18. Deine Habſucht, nimmer ſatt, Verruͤckt den Markſtein jedes nahen Ackers: Und du uͤberſchreiteſt ſtets Des Schuͤtzlings Graͤnzrein: ausgeſtoßen wandern Weib und Mann: er traͤgt im Schooß Der Vaͤter Hausgott und die armen Kinder. Wehe einer Nation wenn der alte Feudalſtolz erloſch, und der Gewinnſucht wich, alles nur als Speculation berechnet wird, Liebe und von Geſchlecht zu Geſchlecht ererbte Anhaͤnglich- keit keinen Reiz mehr haben, Guͤter eine jedem Wucherer kaͤufliche Waare werden: wenn dann nicht die Verhaͤltniſſe des Bauern zum Gutsherrn und ſein eigenthuͤmlicher Be- ſitz ſchon unverruͤckbar. feſtgeſetzt ſind. Eine Bettelfreyheit hilft nicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/388
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/388>, abgerufen am 25.11.2024.