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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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dern die härtesten Urtheile erscheinen als des Geschicht-
schreibers eigne 21): und von hier an, während der
folgenden zwey Jahrhunderte der ersten Decade, bleibt
sich Livius Meinung über die innern Zwistigkeiten gleich,
entschieden partheyisch für die Patricier, deren Habsucht
und Gewaltthätigkeiten er nicht verhüllen kann, gegen die
Plebejer deren Dulden und Langmuth er eingestehen muß.
Eine Ungerechtigkeit die den Unwillen des Lesers der nach
eigner Prüfung urtheilt schmerzlich reizt, und der dennoch
die Liebe, welche der große Historiker in uns erregt, gern
eine Entschuldigung darbietet. Livius war kein Staats-
mann, nicht durch sein Gemüth, nicht durch sein Leben.
Schon seine erste Jugend fiel in die Zeit der Gewalt; er
hatte kaum noch als Knabe die Republik gesehen: ein dun-
kles Gefühl knüpfte an den Nahmen der aristokratischen
Parthey die Idee des Republicanismus, weil die Repu-
blik durch die welche sich demokratisch nannte umgestürzt
war. Livius war Pompejaner, mit einem ganz specula-
tiven Gefühl, denn schon der Jüngling sah die Partheyen
nicht mehr; und aus dieser Gunst, je weniger er das
gleichbenannte unterschied, ergriff er in der Vorzeit jede
Parthey des Senats und der Aristokratie, als seiner Liebe
verwandt, nicht eingedenk daß die jüngste Aristokratie aus

21) So hilft es nicht daß in Decius Rede über das Ogulni-
sche Gesetz die Indignation eines edeln Plebejers glüht,
denn nicht diese zeugt von Livius Urtheil, sondern die Aeu-
ßerung über die Urheber dieses Gesetzes, sie hätten nach
Störung des Friedens, und die Patricier dem Volk zu ver-
läumden getrachtet. X. c. 6.

dern die haͤrteſten Urtheile erſcheinen als des Geſchicht-
ſchreibers eigne 21): und von hier an, waͤhrend der
folgenden zwey Jahrhunderte der erſten Decade, bleibt
ſich Livius Meinung uͤber die innern Zwiſtigkeiten gleich,
entſchieden partheyiſch fuͤr die Patricier, deren Habſucht
und Gewaltthaͤtigkeiten er nicht verhuͤllen kann, gegen die
Plebejer deren Dulden und Langmuth er eingeſtehen muß.
Eine Ungerechtigkeit die den Unwillen des Leſers der nach
eigner Pruͤfung urtheilt ſchmerzlich reizt, und der dennoch
die Liebe, welche der große Hiſtoriker in uns erregt, gern
eine Entſchuldigung darbietet. Livius war kein Staats-
mann, nicht durch ſein Gemuͤth, nicht durch ſein Leben.
Schon ſeine erſte Jugend fiel in die Zeit der Gewalt; er
hatte kaum noch als Knabe die Republik geſehen: ein dun-
kles Gefuͤhl knuͤpfte an den Nahmen der ariſtokratiſchen
Parthey die Idee des Republicanismus, weil die Repu-
blik durch die welche ſich demokratiſch nannte umgeſtuͤrzt
war. Livius war Pompejaner, mit einem ganz ſpecula-
tiven Gefuͤhl, denn ſchon der Juͤngling ſah die Partheyen
nicht mehr; und aus dieſer Gunſt, je weniger er das
gleichbenannte unterſchied, ergriff er in der Vorzeit jede
Parthey des Senats und der Ariſtokratie, als ſeiner Liebe
verwandt, nicht eingedenk daß die juͤngſte Ariſtokratie aus

21) So hilft es nicht daß in Decius Rede uͤber das Ogulni-
ſche Geſetz die Indignation eines edeln Plebejers gluͤht,
denn nicht dieſe zeugt von Livius Urtheil, ſondern die Aeu-
ßerung uͤber die Urheber dieſes Geſetzes, ſie haͤtten nach
Stoͤrung des Friedens, und die Patricier dem Volk zu ver-
laͤumden getrachtet. X. c. 6.
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[20/0036] dern die haͤrteſten Urtheile erſcheinen als des Geſchicht- ſchreibers eigne 21): und von hier an, waͤhrend der folgenden zwey Jahrhunderte der erſten Decade, bleibt ſich Livius Meinung uͤber die innern Zwiſtigkeiten gleich, entſchieden partheyiſch fuͤr die Patricier, deren Habſucht und Gewaltthaͤtigkeiten er nicht verhuͤllen kann, gegen die Plebejer deren Dulden und Langmuth er eingeſtehen muß. Eine Ungerechtigkeit die den Unwillen des Leſers der nach eigner Pruͤfung urtheilt ſchmerzlich reizt, und der dennoch die Liebe, welche der große Hiſtoriker in uns erregt, gern eine Entſchuldigung darbietet. Livius war kein Staats- mann, nicht durch ſein Gemuͤth, nicht durch ſein Leben. Schon ſeine erſte Jugend fiel in die Zeit der Gewalt; er hatte kaum noch als Knabe die Republik geſehen: ein dun- kles Gefuͤhl knuͤpfte an den Nahmen der ariſtokratiſchen Parthey die Idee des Republicanismus, weil die Repu- blik durch die welche ſich demokratiſch nannte umgeſtuͤrzt war. Livius war Pompejaner, mit einem ganz ſpecula- tiven Gefuͤhl, denn ſchon der Juͤngling ſah die Partheyen nicht mehr; und aus dieſer Gunſt, je weniger er das gleichbenannte unterſchied, ergriff er in der Vorzeit jede Parthey des Senats und der Ariſtokratie, als ſeiner Liebe verwandt, nicht eingedenk daß die juͤngſte Ariſtokratie aus 21) So hilft es nicht daß in Decius Rede uͤber das Ogulni- ſche Geſetz die Indignation eines edeln Plebejers gluͤht, denn nicht dieſe zeugt von Livius Urtheil, ſondern die Aeu- ßerung uͤber die Urheber dieſes Geſetzes, ſie haͤtten nach Stoͤrung des Friedens, und die Patricier dem Volk zu ver- laͤumden getrachtet. X. c. 6.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/36>, abgerufen am 27.11.2024.