Zeit: und die Unschlüssigkeit der noch unter Canulejus so heftig entschiedenen Volksgemeinde. Waren aber die Comitien durch jene Veränderung gezähmt, so vermin- derte sich hingegen auch die Macht der Patricier all- mählig durch die nämliche Ursache. Wie patricische Fa- milien ausstarben wurden ihre Clienten jetzt freye Ple- bejer; das Band der Abhängigkeit mußte sich lösen wie der tribunicische Schutz es entbehrlicher machte; und die Vermischung der Clienten in den Tribus mußte sie von den Schutzherren ihrer Vorfahren entfernen, mit den Plebejern vertraut machen. Der Proceß des Ca- millus zeugt von der Unabhängigkeit womit auch sie, ihren Bürgereiden getreu, selbst über ihre Patrone rich- teten, ein Fall den das alte Gesetz nicht geahndet hatte, und wie sie ihre eigenthümlichen Verpflichtungen mit ihren Bürgerpflichten vereinigten. Ein blindes Werk- zeug, eine für die Patricier gerüstete Schaar, waren sie schon längst nicht mehr als Licinius auftrat; und dieser Vortheil war größer für die Sache der Freyheit als die Verzögerung des Entschlusses der Comitien, den aller- dings der Einfluß der Patricier aufhalten konnte.
Nicht den patricischen Stand aufzuheben, wie zu Athen, noch weniger ihm die Bürgerrechte zu rauben, wie es zu Florenz und in andern italienischen Republiken ge- schehen ist 41), verlangten die Plebejer: nur daß beyde
41) Ueber diese schreyende Ungerechtigkeit, und wie sie sich gestraft, noch mehr deswegen strafen mußte weil die italie- nischen Plebejer unkriegerische Krämer und Handwerker wa- ren, der Vorrang unter ihnen nur durch Reichthum be-
Zeit: und die Unſchluͤſſigkeit der noch unter Canulejus ſo heftig entſchiedenen Volksgemeinde. Waren aber die Comitien durch jene Veraͤnderung gezaͤhmt, ſo vermin- derte ſich hingegen auch die Macht der Patricier all- maͤhlig durch die naͤmliche Urſache. Wie patriciſche Fa- milien ausſtarben wurden ihre Clienten jetzt freye Ple- bejer; das Band der Abhaͤngigkeit mußte ſich loͤſen wie der tribuniciſche Schutz es entbehrlicher machte; und die Vermiſchung der Clienten in den Tribus mußte ſie von den Schutzherren ihrer Vorfahren entfernen, mit den Plebejern vertraut machen. Der Proceß des Ca- millus zeugt von der Unabhaͤngigkeit womit auch ſie, ihren Buͤrgereiden getreu, ſelbſt uͤber ihre Patrone rich- teten, ein Fall den das alte Geſetz nicht geahndet hatte, und wie ſie ihre eigenthuͤmlichen Verpflichtungen mit ihren Buͤrgerpflichten vereinigten. Ein blindes Werk- zeug, eine fuͤr die Patricier geruͤſtete Schaar, waren ſie ſchon laͤngſt nicht mehr als Licinius auftrat; und dieſer Vortheil war groͤßer fuͤr die Sache der Freyheit als die Verzoͤgerung des Entſchluſſes der Comitien, den aller- dings der Einfluß der Patricier aufhalten konnte.
Nicht den patriciſchen Stand aufzuheben, wie zu Athen, noch weniger ihm die Buͤrgerrechte zu rauben, wie es zu Florenz und in andern italieniſchen Republiken ge- ſchehen iſt 41), verlangten die Plebejer: nur daß beyde
41) Ueber dieſe ſchreyende Ungerechtigkeit, und wie ſie ſich geſtraft, noch mehr deswegen ſtrafen mußte weil die italie- niſchen Plebejer unkriegeriſche Kraͤmer und Handwerker wa- ren, der Vorrang unter ihnen nur durch Reichthum be-
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Zeit: und die Unſchluͤſſigkeit der noch unter Canulejus
ſo heftig entſchiedenen Volksgemeinde. Waren aber die
Comitien durch jene Veraͤnderung gezaͤhmt, ſo vermin-
derte ſich hingegen auch die Macht der Patricier all-
maͤhlig durch die naͤmliche Urſache. Wie patriciſche Fa-
milien ausſtarben wurden ihre Clienten jetzt freye Ple-
bejer; das Band der Abhaͤngigkeit mußte ſich loͤſen wie
der tribuniciſche Schutz es entbehrlicher machte; und
die Vermiſchung der Clienten in den Tribus mußte ſie
von den Schutzherren ihrer Vorfahren entfernen, mit
den Plebejern vertraut machen. Der Proceß des Ca-
millus zeugt von der Unabhaͤngigkeit womit auch ſie,
ihren Buͤrgereiden getreu, ſelbſt uͤber ihre Patrone rich-
teten, ein Fall den das alte Geſetz nicht geahndet hatte,
und wie ſie ihre eigenthuͤmlichen Verpflichtungen mit
ihren Buͤrgerpflichten vereinigten. Ein blindes Werk-
zeug, eine fuͤr die Patricier geruͤſtete Schaar, waren ſie
ſchon laͤngſt nicht mehr als Licinius auftrat; und dieſer
Vortheil war groͤßer fuͤr die Sache der Freyheit als die
Verzoͤgerung des Entſchluſſes der Comitien, den aller-
dings der Einfluß der Patricier aufhalten konnte.
Nicht den patriciſchen Stand aufzuheben, wie zu
Athen, noch weniger ihm die Buͤrgerrechte zu rauben, wie
es zu Florenz und in andern italieniſchen Republiken ge-
ſchehen iſt 41), verlangten die Plebejer: nur daß beyde
41) Ueber dieſe ſchreyende Ungerechtigkeit, und wie ſie ſich
geſtraft, noch mehr deswegen ſtrafen mußte weil die italie-
niſchen Plebejer unkriegeriſche Kraͤmer und Handwerker wa-
ren, der Vorrang unter ihnen nur durch Reichthum be-
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/357>, abgerufen am 22.11.2024.
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