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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Schwäche gewesen nach welchem die Nation ohne Scheu
ein System leidendes Daseyns erwählen konnte, und
wahrscheinlich erwählt haben würde: auch für die Entsa-
gung früheres Ruhms und früheres Triebs nach Größe ist
nur der erste Schritt zögernd und entscheidend. Ein
Wohnsitz jenseits der Tiber würde das alte Band zwischen
den Römern und Latium völlig zerrissen haben, dessen
Erhaltung für die Herstellung des Staats wichtiger war
als je: und mit den Volskern vereinigt, wie sie sich vierzig
Jahre später verbündeten, hätten die Latiner wahrschein-
lich gesucht die Verwandlung der Römer in Vejenter zu
ihrem Vortheil zu benutzen und die Tiber zur Gränze zu
machen. Es ist höchst wahrscheinlich daß sie eine Colonie
in die verlassenen Mauern geführt, und der Strohm den
römischen Vejentern so unübersteiglich geworden wäre
als er es für die etruskischen gewesen war. Und auch
wenn diese Gefahren, welche unvermeidlich scheinen muß-
ten, nicht eingetreten wären, doch war es unmöglich daß
dasselbe Volk, in einer andern Stadt, in einem andern
Vaterland, entfernt von allen frommen, mythischen und
historischen Andenken und Erinnerungen, hätte bleiben
können was es in seiner Heimath war. Es wäre zu einer
Colonie herabgesunken, der Roms Andenken so fremd ge-
worden wäre, als es den Römern ihre Mutterstadt war.

Das glückliche Omen eines vielleicht mit großer
Weisheit veranstalteten Worts, entschied die zwischen
Noth und Schaam unentschlossenen Gemüther. Rom
ward in einem Jahr wieder aufgebaut; gewiß höchst ärm-
lich; und äußerst unregelmäßig. Denn anstatt der her-

Schwaͤche geweſen nach welchem die Nation ohne Scheu
ein Syſtem leidendes Daſeyns erwaͤhlen konnte, und
wahrſcheinlich erwaͤhlt haben wuͤrde: auch fuͤr die Entſa-
gung fruͤheres Ruhms und fruͤheres Triebs nach Groͤße iſt
nur der erſte Schritt zoͤgernd und entſcheidend. Ein
Wohnſitz jenſeits der Tiber wuͤrde das alte Band zwiſchen
den Roͤmern und Latium voͤllig zerriſſen haben, deſſen
Erhaltung fuͤr die Herſtellung des Staats wichtiger war
als je: und mit den Volskern vereinigt, wie ſie ſich vierzig
Jahre ſpaͤter verbuͤndeten, haͤtten die Latiner wahrſchein-
lich geſucht die Verwandlung der Roͤmer in Vejenter zu
ihrem Vortheil zu benutzen und die Tiber zur Graͤnze zu
machen. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich daß ſie eine Colonie
in die verlaſſenen Mauern gefuͤhrt, und der Strohm den
roͤmiſchen Vejentern ſo unuͤberſteiglich geworden waͤre
als er es fuͤr die etruskiſchen geweſen war. Und auch
wenn dieſe Gefahren, welche unvermeidlich ſcheinen muß-
ten, nicht eingetreten waͤren, doch war es unmoͤglich daß
daſſelbe Volk, in einer andern Stadt, in einem andern
Vaterland, entfernt von allen frommen, mythiſchen und
hiſtoriſchen Andenken und Erinnerungen, haͤtte bleiben
koͤnnen was es in ſeiner Heimath war. Es waͤre zu einer
Colonie herabgeſunken, der Roms Andenken ſo fremd ge-
worden waͤre, als es den Roͤmern ihre Mutterſtadt war.

Das gluͤckliche Omen eines vielleicht mit großer
Weisheit veranſtalteten Worts, entſchied die zwiſchen
Noth und Schaam unentſchloſſenen Gemuͤther. Rom
ward in einem Jahr wieder aufgebaut; gewiß hoͤchſt aͤrm-
lich; und aͤußerſt unregelmaͤßig. Denn anſtatt der her-

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[290/0306] Schwaͤche geweſen nach welchem die Nation ohne Scheu ein Syſtem leidendes Daſeyns erwaͤhlen konnte, und wahrſcheinlich erwaͤhlt haben wuͤrde: auch fuͤr die Entſa- gung fruͤheres Ruhms und fruͤheres Triebs nach Groͤße iſt nur der erſte Schritt zoͤgernd und entſcheidend. Ein Wohnſitz jenſeits der Tiber wuͤrde das alte Band zwiſchen den Roͤmern und Latium voͤllig zerriſſen haben, deſſen Erhaltung fuͤr die Herſtellung des Staats wichtiger war als je: und mit den Volskern vereinigt, wie ſie ſich vierzig Jahre ſpaͤter verbuͤndeten, haͤtten die Latiner wahrſchein- lich geſucht die Verwandlung der Roͤmer in Vejenter zu ihrem Vortheil zu benutzen und die Tiber zur Graͤnze zu machen. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich daß ſie eine Colonie in die verlaſſenen Mauern gefuͤhrt, und der Strohm den roͤmiſchen Vejentern ſo unuͤberſteiglich geworden waͤre als er es fuͤr die etruskiſchen geweſen war. Und auch wenn dieſe Gefahren, welche unvermeidlich ſcheinen muß- ten, nicht eingetreten waͤren, doch war es unmoͤglich daß daſſelbe Volk, in einer andern Stadt, in einem andern Vaterland, entfernt von allen frommen, mythiſchen und hiſtoriſchen Andenken und Erinnerungen, haͤtte bleiben koͤnnen was es in ſeiner Heimath war. Es waͤre zu einer Colonie herabgeſunken, der Roms Andenken ſo fremd ge- worden waͤre, als es den Roͤmern ihre Mutterſtadt war. Das gluͤckliche Omen eines vielleicht mit großer Weisheit veranſtalteten Worts, entſchied die zwiſchen Noth und Schaam unentſchloſſenen Gemuͤther. Rom ward in einem Jahr wieder aufgebaut; gewiß hoͤchſt aͤrm- lich; und aͤußerſt unregelmaͤßig. Denn anſtatt der her-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/306>, abgerufen am 25.11.2024.