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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Nach dieser hätten sich die benachbarten Orte unter
dem Befehl des Dictators von Fidenä, Postumius Li-
vius, vor Rom gelagert, und von den Römern als
Bedingung des Friedens, oder als Geisseln, Frauen und
Jungfrauen von guten Geschlechtern gefordert. Die Rö-
mer hätten zwischen dieser Schmach und der Unmöglich-
keit sich zu vertheidigen unschlüssig gewankt: bis ihnen
eine Magd, des Nahmens Philotis oder Tutula, Rath
ersonnen und ausgeführt hätte. Diese wäre, wie sie es
selbst angegeben, nebst andern Mägden, als edle Jung-
frauen mit der Prätexta bekleidet, unter täuschenden
Thränen der Scheidenden den Latinern übergeben wor-
den. Als diese sich des übermüthigen Vertrags schwel-
gerisch freuten, und von den Listigen noch mehr zum
Wein ermuntert, sorglos und achtlos in tiefem Schlaf
lagen, soll die Anführerinn nach der Stadt hin das Zei-
chen einer brennenden Fackel erhoben; darauf sollen die
Römer das unbewachte Lager plötzlich überfallen, und
sich an diesen Feinden völlig gerächt haben: wofür der
Tutula und ihren Begleiterinnen mit Freyheit und Aus-
steuer gelohnt worden sey.

Aus ungenannten Schriften nahm Verrius Flac-
cus 73) die Sage daß nach der Räumung der Stadt
beschlossen sey die sechszigjährigen Greise in die Tiber zu

nur nach seinen historischen. Wäre es hingegen gewiß daß
er ältere einheimische Bücher vor Augen gehabt, so würden
die starken Ausdrücke über Roms Ohnmacht merkwürdig seyn:
Cum sedatus esset Gallicus motus: respublica vero ad te-
nue deducta.
73) Festus s. v. Sexagenarios.

Nach dieſer haͤtten ſich die benachbarten Orte unter
dem Befehl des Dictators von Fidenaͤ, Poſtumius Li-
vius, vor Rom gelagert, und von den Roͤmern als
Bedingung des Friedens, oder als Geiſſeln, Frauen und
Jungfrauen von guten Geſchlechtern gefordert. Die Roͤ-
mer haͤtten zwiſchen dieſer Schmach und der Unmoͤglich-
keit ſich zu vertheidigen unſchluͤſſig gewankt: bis ihnen
eine Magd, des Nahmens Philotis oder Tutula, Rath
erſonnen und ausgefuͤhrt haͤtte. Dieſe waͤre, wie ſie es
ſelbſt angegeben, nebſt andern Maͤgden, als edle Jung-
frauen mit der Praͤtexta bekleidet, unter taͤuſchenden
Thraͤnen der Scheidenden den Latinern uͤbergeben wor-
den. Als dieſe ſich des uͤbermuͤthigen Vertrags ſchwel-
geriſch freuten, und von den Liſtigen noch mehr zum
Wein ermuntert, ſorglos und achtlos in tiefem Schlaf
lagen, ſoll die Anfuͤhrerinn nach der Stadt hin das Zei-
chen einer brennenden Fackel erhoben; darauf ſollen die
Roͤmer das unbewachte Lager ploͤtzlich uͤberfallen, und
ſich an dieſen Feinden voͤllig geraͤcht haben: wofuͤr der
Tutula und ihren Begleiterinnen mit Freyheit und Aus-
ſteuer gelohnt worden ſey.

Aus ungenannten Schriften nahm Verrius Flac-
cus 73) die Sage daß nach der Raͤumung der Stadt
beſchloſſen ſey die ſechszigjaͤhrigen Greiſe in die Tiber zu

nur nach ſeinen hiſtoriſchen. Waͤre es hingegen gewiß daß
er aͤltere einheimiſche Buͤcher vor Augen gehabt, ſo wuͤrden
die ſtarken Ausdruͤcke uͤber Roms Ohnmacht merkwuͤrdig ſeyn:
Cum sedatus esset Gallicus motus: respublica vero ad te-
nue deducta.
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[286/0302] Nach dieſer haͤtten ſich die benachbarten Orte unter dem Befehl des Dictators von Fidenaͤ, Poſtumius Li- vius, vor Rom gelagert, und von den Roͤmern als Bedingung des Friedens, oder als Geiſſeln, Frauen und Jungfrauen von guten Geſchlechtern gefordert. Die Roͤ- mer haͤtten zwiſchen dieſer Schmach und der Unmoͤglich- keit ſich zu vertheidigen unſchluͤſſig gewankt: bis ihnen eine Magd, des Nahmens Philotis oder Tutula, Rath erſonnen und ausgefuͤhrt haͤtte. Dieſe waͤre, wie ſie es ſelbſt angegeben, nebſt andern Maͤgden, als edle Jung- frauen mit der Praͤtexta bekleidet, unter taͤuſchenden Thraͤnen der Scheidenden den Latinern uͤbergeben wor- den. Als dieſe ſich des uͤbermuͤthigen Vertrags ſchwel- geriſch freuten, und von den Liſtigen noch mehr zum Wein ermuntert, ſorglos und achtlos in tiefem Schlaf lagen, ſoll die Anfuͤhrerinn nach der Stadt hin das Zei- chen einer brennenden Fackel erhoben; darauf ſollen die Roͤmer das unbewachte Lager ploͤtzlich uͤberfallen, und ſich an dieſen Feinden voͤllig geraͤcht haben: wofuͤr der Tutula und ihren Begleiterinnen mit Freyheit und Aus- ſteuer gelohnt worden ſey. Aus ungenannten Schriften nahm Verrius Flac- cus 73) die Sage daß nach der Raͤumung der Stadt beſchloſſen ſey die ſechszigjaͤhrigen Greiſe in die Tiber zu 72) 73) Feſtus s. v. Sexagenarios. 72) nur nach ſeinen hiſtoriſchen. Waͤre es hingegen gewiß daß er aͤltere einheimiſche Buͤcher vor Augen gehabt, ſo wuͤrden die ſtarken Ausdruͤcke uͤber Roms Ohnmacht merkwuͤrdig ſeyn: Cum sedatus esset Gallicus motus: respublica vero ad te- nue deducta.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/302>, abgerufen am 25.11.2024.