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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Sie vernahmen die bejahende Stimme der Antwor-
tenden 77).

Diese Erzählung ist eng und unzertrennlich in die
Geschichte der Eroberung verwachsen: von dieser lauten
Gunst der Göttin läßt sich der in ihren Tempel hinauf-
geführte, ihrer Obhut anvertraute Schacht nicht schei-
den. Sie also giebt uns den Maaßstab des ganz poe-
tischen Charakters der Sage von Vejis Untergang. Aber
ganz unhistorisch sind auch alle ihre einzelnen Geschich-
ten. So die von dem durch das Schicksal zum Verder-
ben seines Vaterlands angetriebenen Aruspex: welche,
wie schon bemerkt worden, in einigen Annalen zu einem
Verrath vernüchtert ward.

Nicht anders ist es mit der Ableitung des Albaner-
sees. Man müßte lebendig heidnisch gläubig seyn, um
die Uebereinstimmung des pythischen Orakels bey einem
Gegenstand so entfernter Länder mit dem Wort des etrus-
kischen Wahrsagers möglich zu halten. Nicht minder un-
möglich darf man die Ausführung eines so außerordentli-
chen Werks in so kurzer Frist durch die einzelnen Kräfte
einer noch armen und durch einen schweren Krieg er-
schöpften Stadt nennen. Der Emissarius mißt dreytau-
send siebenhundert Schritt, ist sechs Fuß hoch, drey

77) Plutarch Camill. p. 132. A. schreibt ausdrücklich Livius
die Milderung zu daß ein Römer einen bejahenden Wink zu
sehen geglaubt hätte, dieses von den übrigen begierig aufge-
nommen, und darauf die Erzählung von der mündlichen Be-
jahung gefabelt sey. Die alte Sage nahm diese also im
strengsten Sinn.

Sie vernahmen die bejahende Stimme der Antwor-
tenden 77).

Dieſe Erzaͤhlung iſt eng und unzertrennlich in die
Geſchichte der Eroberung verwachſen: von dieſer lauten
Gunſt der Goͤttin laͤßt ſich der in ihren Tempel hinauf-
gefuͤhrte, ihrer Obhut anvertraute Schacht nicht ſchei-
den. Sie alſo giebt uns den Maaßſtab des ganz poe-
tiſchen Charakters der Sage von Vejis Untergang. Aber
ganz unhiſtoriſch ſind auch alle ihre einzelnen Geſchich-
ten. So die von dem durch das Schickſal zum Verder-
ben ſeines Vaterlands angetriebenen Aruſpex: welche,
wie ſchon bemerkt worden, in einigen Annalen zu einem
Verrath vernuͤchtert ward.

Nicht anders iſt es mit der Ableitung des Albaner-
ſees. Man muͤßte lebendig heidniſch glaͤubig ſeyn, um
die Uebereinſtimmung des pythiſchen Orakels bey einem
Gegenſtand ſo entfernter Laͤnder mit dem Wort des etrus-
kiſchen Wahrſagers moͤglich zu halten. Nicht minder un-
moͤglich darf man die Ausfuͤhrung eines ſo außerordentli-
chen Werks in ſo kurzer Friſt durch die einzelnen Kraͤfte
einer noch armen und durch einen ſchweren Krieg er-
ſchoͤpften Stadt nennen. Der Emiſſarius mißt dreytau-
ſend ſiebenhundert Schritt, iſt ſechs Fuß hoch, drey

77) Plutarch Camill. p. 132. A. ſchreibt ausdruͤcklich Livius
die Milderung zu daß ein Roͤmer einen bejahenden Wink zu
ſehen geglaubt haͤtte, dieſes von den uͤbrigen begierig aufge-
nommen, und darauf die Erzaͤhlung von der muͤndlichen Be-
jahung gefabelt ſey. Die alte Sage nahm dieſe alſo im
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[234/0250] Sie vernahmen die bejahende Stimme der Antwor- tenden 77). Dieſe Erzaͤhlung iſt eng und unzertrennlich in die Geſchichte der Eroberung verwachſen: von dieſer lauten Gunſt der Goͤttin laͤßt ſich der in ihren Tempel hinauf- gefuͤhrte, ihrer Obhut anvertraute Schacht nicht ſchei- den. Sie alſo giebt uns den Maaßſtab des ganz poe- tiſchen Charakters der Sage von Vejis Untergang. Aber ganz unhiſtoriſch ſind auch alle ihre einzelnen Geſchich- ten. So die von dem durch das Schickſal zum Verder- ben ſeines Vaterlands angetriebenen Aruſpex: welche, wie ſchon bemerkt worden, in einigen Annalen zu einem Verrath vernuͤchtert ward. Nicht anders iſt es mit der Ableitung des Albaner- ſees. Man muͤßte lebendig heidniſch glaͤubig ſeyn, um die Uebereinſtimmung des pythiſchen Orakels bey einem Gegenſtand ſo entfernter Laͤnder mit dem Wort des etrus- kiſchen Wahrſagers moͤglich zu halten. Nicht minder un- moͤglich darf man die Ausfuͤhrung eines ſo außerordentli- chen Werks in ſo kurzer Friſt durch die einzelnen Kraͤfte einer noch armen und durch einen ſchweren Krieg er- ſchoͤpften Stadt nennen. Der Emiſſarius mißt dreytau- ſend ſiebenhundert Schritt, iſt ſechs Fuß hoch, drey 77) Plutarch Camill. p. 132. A. ſchreibt ausdruͤcklich Livius die Milderung zu daß ein Roͤmer einen bejahenden Wink zu ſehen geglaubt haͤtte, dieſes von den uͤbrigen begierig aufge- nommen, und darauf die Erzaͤhlung von der muͤndlichen Be- jahung gefabelt ſey. Die alte Sage nahm dieſe alſo im ſtrengſten Sinn.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/250>, abgerufen am 27.11.2024.