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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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losen römischen Heer umgeben, welches Sturmleitern
herantrug, wie es schien, die Mauern auf allen Punkten
zu ersteigen. Die Bürger vertheilten sich zur Verthei-
digung, getrost das tollkühne Unternehmen zu vereiteln.

Während sie hier den Feinden begegneten, opferte
ihr König im Tempel der Juno; und als das Opferthier
erschlagen war, vernahmen die Römer unter dem Boden
den Ausspruch des Aruspex: dasjenige Volk werde siegen
dessen Bürger die Opferstücke darbringen würden. Sie
brachen hervor, erschlugen die Opferer, und erfüllten die
Weissagung. Von der Burg, welche schnell und unwider-
stehlich eingenommen war, verbreiteten sie sich in der
Stadt, und öffneten den Stürmenden die nächsten Thore.

Die Beute war den Römern selbst unerwartet und
unglaublich. Alles empfing die Armee, nur die Freyge-
wesenen, welche das Blutvergießen durchlebt hatten, bis
Habsucht die Wuth besänftigte, und Unbewaffneten das
Leben geschenkt ward, wurden nicht vertheilt, sondern als
Sklaven für den Staat verkauft.

Schon waren alle Gegenstände menschliches Eigen-
thums aus den leeren Mauern fortgeschafft, nur die Bild-
säulen der Götter waren noch unberührt. Juno hatte das
Gelübde eines Tempels auf dem Aventinus angenommen;
aber jeder zitterte ihr Bild zu fassen, welches nach
etruskischer Religion nur ein Priester aus einem be-
stimmten Geschlecht ohne Todesfurcht wagen konnte. Die
es unternahmen dieses Bild aus seinem Sitz zu heben,
begaben sich in Feyerkleidern in den Tempel, und frag-
ten die Göttin ob sie einwillige nach Rom zu ziehen?

loſen roͤmiſchen Heer umgeben, welches Sturmleitern
herantrug, wie es ſchien, die Mauern auf allen Punkten
zu erſteigen. Die Buͤrger vertheilten ſich zur Verthei-
digung, getroſt das tollkuͤhne Unternehmen zu vereiteln.

Waͤhrend ſie hier den Feinden begegneten, opferte
ihr Koͤnig im Tempel der Juno; und als das Opferthier
erſchlagen war, vernahmen die Roͤmer unter dem Boden
den Ausſpruch des Aruſpex: dasjenige Volk werde ſiegen
deſſen Buͤrger die Opferſtuͤcke darbringen wuͤrden. Sie
brachen hervor, erſchlugen die Opferer, und erfuͤllten die
Weiſſagung. Von der Burg, welche ſchnell und unwider-
ſtehlich eingenommen war, verbreiteten ſie ſich in der
Stadt, und oͤffneten den Stuͤrmenden die naͤchſten Thore.

Die Beute war den Roͤmern ſelbſt unerwartet und
unglaublich. Alles empfing die Armee, nur die Freyge-
weſenen, welche das Blutvergießen durchlebt hatten, bis
Habſucht die Wuth beſaͤnftigte, und Unbewaffneten das
Leben geſchenkt ward, wurden nicht vertheilt, ſondern als
Sklaven fuͤr den Staat verkauft.

Schon waren alle Gegenſtaͤnde menſchliches Eigen-
thums aus den leeren Mauern fortgeſchafft, nur die Bild-
ſaͤulen der Goͤtter waren noch unberuͤhrt. Juno hatte das
Geluͤbde eines Tempels auf dem Aventinus angenommen;
aber jeder zitterte ihr Bild zu faſſen, welches nach
etruskiſcher Religion nur ein Prieſter aus einem be-
ſtimmten Geſchlecht ohne Todesfurcht wagen konnte. Die
es unternahmen dieſes Bild aus ſeinem Sitz zu heben,
begaben ſich in Feyerkleidern in den Tempel, und frag-
ten die Goͤttin ob ſie einwillige nach Rom zu ziehen?

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[233/0249] loſen roͤmiſchen Heer umgeben, welches Sturmleitern herantrug, wie es ſchien, die Mauern auf allen Punkten zu erſteigen. Die Buͤrger vertheilten ſich zur Verthei- digung, getroſt das tollkuͤhne Unternehmen zu vereiteln. Waͤhrend ſie hier den Feinden begegneten, opferte ihr Koͤnig im Tempel der Juno; und als das Opferthier erſchlagen war, vernahmen die Roͤmer unter dem Boden den Ausſpruch des Aruſpex: dasjenige Volk werde ſiegen deſſen Buͤrger die Opferſtuͤcke darbringen wuͤrden. Sie brachen hervor, erſchlugen die Opferer, und erfuͤllten die Weiſſagung. Von der Burg, welche ſchnell und unwider- ſtehlich eingenommen war, verbreiteten ſie ſich in der Stadt, und oͤffneten den Stuͤrmenden die naͤchſten Thore. Die Beute war den Roͤmern ſelbſt unerwartet und unglaublich. Alles empfing die Armee, nur die Freyge- weſenen, welche das Blutvergießen durchlebt hatten, bis Habſucht die Wuth beſaͤnftigte, und Unbewaffneten das Leben geſchenkt ward, wurden nicht vertheilt, ſondern als Sklaven fuͤr den Staat verkauft. Schon waren alle Gegenſtaͤnde menſchliches Eigen- thums aus den leeren Mauern fortgeſchafft, nur die Bild- ſaͤulen der Goͤtter waren noch unberuͤhrt. Juno hatte das Geluͤbde eines Tempels auf dem Aventinus angenommen; aber jeder zitterte ihr Bild zu faſſen, welches nach etruskiſcher Religion nur ein Prieſter aus einem be- ſtimmten Geſchlecht ohne Todesfurcht wagen konnte. Die es unternahmen dieſes Bild aus ſeinem Sitz zu heben, begaben ſich in Feyerkleidern in den Tempel, und frag- ten die Goͤttin ob ſie einwillige nach Rom zu ziehen?

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/249>, abgerufen am 23.11.2024.