Schlag ihn allein traf, und niemand als Mitschuldiger vor das Gericht des Dictators gezogen ward, obgleich der Livianische Minucius die Volkstribunen erkauft nennt ihm die Königswürde zu verschaffen. Und wahrlich es ist sehr denkbar daß, wenige Jahre nachdem C. Clau- dius den Senat aufgefordert hatte die Motionen der Tribunen zur Theilnahme der Plebejer an der höchsten Gewalt in ihrem Blute zu ersticken, Herrschsucht und Partheywuth dem Senat den Entschluß eingaben einen Mann zu ermorden dessen persönliche Macht ihm die Ernennung zu den bestrittenen Würden und ihren Besitz sicherte. Dieses ist vielmehr so wahrscheinlich: der Se- nat der Decemviralzeit hat so gar keine Ansprüche auf das geringste günstige Vorurtheil, daß Sp. Mälius Un- schuld wenig Zweifel leiden kann. Denn Ehrgeiz eine erlaubte Macht zu erlangen, selbst mit Gewalt zu be- haupten wenn sie gewaltsam dem geweigert wird der sie in rechtlicher Form erhielt, ist doch in einer Repu- blik kein Verbrechen.
In der Ruhe des äußeren Friedens ward, auf die angebliche Anzeige des Präfecten L. Minucius, es wür- den im Hause des Mälius heimliche Versammlungen gehalten, und Waffen gehäuft, L. Cincinnatus damals ein mehr als achtzigjähriger Greis zum Dictator er- nannt. Der Senat war den ganzen Tag versammelt, und seine Beschlüsse waren Geheimniß: in der Nacht wurden Capitol und andre feste Gegenden von den Rit- tern besetzt 19): und Cincinnatus, umgeben von Be-
19) Zonaras VII. c. 20.
Schlag ihn allein traf, und niemand als Mitſchuldiger vor das Gericht des Dictators gezogen ward, obgleich der Livianiſche Minucius die Volkstribunen erkauft nennt ihm die Koͤnigswuͤrde zu verſchaffen. Und wahrlich es iſt ſehr denkbar daß, wenige Jahre nachdem C. Clau- dius den Senat aufgefordert hatte die Motionen der Tribunen zur Theilnahme der Plebejer an der hoͤchſten Gewalt in ihrem Blute zu erſticken, Herrſchſucht und Partheywuth dem Senat den Entſchluß eingaben einen Mann zu ermorden deſſen perſoͤnliche Macht ihm die Ernennung zu den beſtrittenen Wuͤrden und ihren Beſitz ſicherte. Dieſes iſt vielmehr ſo wahrſcheinlich: der Se- nat der Decemviralzeit hat ſo gar keine Anſpruͤche auf das geringſte guͤnſtige Vorurtheil, daß Sp. Maͤlius Un- ſchuld wenig Zweifel leiden kann. Denn Ehrgeiz eine erlaubte Macht zu erlangen, ſelbſt mit Gewalt zu be- haupten wenn ſie gewaltſam dem geweigert wird der ſie in rechtlicher Form erhielt, iſt doch in einer Repu- blik kein Verbrechen.
In der Ruhe des aͤußeren Friedens ward, auf die angebliche Anzeige des Praͤfecten L. Minucius, es wuͤr- den im Hauſe des Maͤlius heimliche Verſammlungen gehalten, und Waffen gehaͤuft, L. Cincinnatus damals ein mehr als achtzigjaͤhriger Greis zum Dictator er- nannt. Der Senat war den ganzen Tag verſammelt, und ſeine Beſchluͤſſe waren Geheimniß: in der Nacht wurden Capitol und andre feſte Gegenden von den Rit- tern beſetzt 19): und Cincinnatus, umgeben von Be-
19) Zonaras VII. c. 20.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0206"n="190"/>
Schlag ihn allein traf, und niemand als Mitſchuldiger<lb/>
vor das Gericht des Dictators gezogen ward, obgleich<lb/>
der Livianiſche Minucius die Volkstribunen erkauft nennt<lb/>
ihm die Koͤnigswuͤrde zu verſchaffen. Und wahrlich es<lb/>
iſt ſehr denkbar daß, wenige Jahre nachdem C. Clau-<lb/>
dius den Senat aufgefordert hatte die Motionen der<lb/>
Tribunen zur Theilnahme der Plebejer an der hoͤchſten<lb/>
Gewalt in ihrem Blute zu erſticken, Herrſchſucht und<lb/>
Partheywuth dem Senat den Entſchluß eingaben einen<lb/>
Mann zu ermorden deſſen perſoͤnliche Macht ihm die<lb/>
Ernennung zu den beſtrittenen Wuͤrden und ihren Beſitz<lb/>ſicherte. Dieſes iſt vielmehr ſo wahrſcheinlich: der Se-<lb/>
nat der Decemviralzeit hat ſo gar keine Anſpruͤche auf<lb/>
das geringſte guͤnſtige Vorurtheil, daß Sp. Maͤlius Un-<lb/>ſchuld wenig Zweifel leiden kann. Denn Ehrgeiz eine<lb/>
erlaubte Macht zu erlangen, ſelbſt mit Gewalt zu be-<lb/>
haupten wenn ſie gewaltſam dem geweigert wird der<lb/>ſie in rechtlicher Form erhielt, iſt doch in einer Repu-<lb/>
blik kein Verbrechen.</p><lb/><p>In der Ruhe des aͤußeren Friedens ward, auf die<lb/>
angebliche Anzeige des Praͤfecten L. Minucius, es wuͤr-<lb/>
den im Hauſe des Maͤlius heimliche Verſammlungen<lb/>
gehalten, und Waffen gehaͤuft, L. Cincinnatus damals<lb/>
ein mehr als achtzigjaͤhriger Greis zum Dictator er-<lb/>
nannt. Der Senat war den ganzen Tag verſammelt,<lb/>
und ſeine Beſchluͤſſe waren Geheimniß: in der Nacht<lb/>
wurden Capitol und andre feſte Gegenden von den Rit-<lb/>
tern beſetzt <noteplace="foot"n="19)">Zonaras <hirendition="#aq">VII. c.</hi> 20.</note>: und Cincinnatus, umgeben von Be-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[190/0206]
Schlag ihn allein traf, und niemand als Mitſchuldiger
vor das Gericht des Dictators gezogen ward, obgleich
der Livianiſche Minucius die Volkstribunen erkauft nennt
ihm die Koͤnigswuͤrde zu verſchaffen. Und wahrlich es
iſt ſehr denkbar daß, wenige Jahre nachdem C. Clau-
dius den Senat aufgefordert hatte die Motionen der
Tribunen zur Theilnahme der Plebejer an der hoͤchſten
Gewalt in ihrem Blute zu erſticken, Herrſchſucht und
Partheywuth dem Senat den Entſchluß eingaben einen
Mann zu ermorden deſſen perſoͤnliche Macht ihm die
Ernennung zu den beſtrittenen Wuͤrden und ihren Beſitz
ſicherte. Dieſes iſt vielmehr ſo wahrſcheinlich: der Se-
nat der Decemviralzeit hat ſo gar keine Anſpruͤche auf
das geringſte guͤnſtige Vorurtheil, daß Sp. Maͤlius Un-
ſchuld wenig Zweifel leiden kann. Denn Ehrgeiz eine
erlaubte Macht zu erlangen, ſelbſt mit Gewalt zu be-
haupten wenn ſie gewaltſam dem geweigert wird der
ſie in rechtlicher Form erhielt, iſt doch in einer Repu-
blik kein Verbrechen.
In der Ruhe des aͤußeren Friedens ward, auf die
angebliche Anzeige des Praͤfecten L. Minucius, es wuͤr-
den im Hauſe des Maͤlius heimliche Verſammlungen
gehalten, und Waffen gehaͤuft, L. Cincinnatus damals
ein mehr als achtzigjaͤhriger Greis zum Dictator er-
nannt. Der Senat war den ganzen Tag verſammelt,
und ſeine Beſchluͤſſe waren Geheimniß: in der Nacht
wurden Capitol und andre feſte Gegenden von den Rit-
tern beſetzt 19): und Cincinnatus, umgeben von Be-
19) Zonaras VII. c. 20.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/206>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.