Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Ackergesetz des unglücklichen Consuls: anfangs bezie-
hen sie sich unmittelbar nur auf dieses: in der Folge ver-
vielfachen sich ihre Zwecke und Beziehungen, sie gewinnen
an Wichtigkeit und Größe im Verhältniß des ungerechten
Widerstandes, sie erheben sich über die beschränkten An-
sprüche welche sich durch Geld messen und entschädigen
lassen: aber sie gehen hervor aus jenen ursprünglichen
Forderungen. Die ganze Zeit hindurch herrscht ein Geist
des erbitterten Hasses, einer wilden Gewaltthätigkeit, den
die Gesetzgebung der zwölf Tafeln auf immer verbannte.
Die Geschichte der Kriege ist die des fortwährenden Ver-
falls ehemaliger Größe: die Jahrbücher zählen kaum ein-
zelne Triumphe, nur eine einzige Eroberung, und auch
diese von kurzer Dauer. Dagegen treffen die sinkende Re-
publik schmähliche und furchtbare Niederlagen: ihr Da-
seyn selbst wird von den Tuskern bedroht: die Eroberun-
gen der Aequer verbreiten sich, und gegen ihre Verhee-
rungen findet der Landmann nur Schutz in Roms Mauern.
Alles dieses Elend entsteht aus dem verblendeten Streben
der Patricier, denn eine leidliche Entfernung der bitter-
sten Beschwerden durch die Gesetzgebung wendet auch die-
sen Strohm des äußern Unglücks. Und wie physische
Landplagen sich fast immer dem Druck innerer und äuße-
rer verschuldeter Noth zugesellen, als zerstöre ein Volk
welches sich selbst zerrüttet bis auf die Keime seines Da-
seyns, so fiel in diesem unglücklichsten Zeitraum zwey-
mal eine schreckliche Pest auf die römische Nation, und
eben so oft wüthete der Hunger.


dem Ackergeſetz des ungluͤcklichen Conſuls: anfangs bezie-
hen ſie ſich unmittelbar nur auf dieſes: in der Folge ver-
vielfachen ſich ihre Zwecke und Beziehungen, ſie gewinnen
an Wichtigkeit und Groͤße im Verhaͤltniß des ungerechten
Widerſtandes, ſie erheben ſich uͤber die beſchraͤnkten An-
ſpruͤche welche ſich durch Geld meſſen und entſchaͤdigen
laſſen: aber ſie gehen hervor aus jenen urſpruͤnglichen
Forderungen. Die ganze Zeit hindurch herrſcht ein Geiſt
des erbitterten Haſſes, einer wilden Gewaltthaͤtigkeit, den
die Geſetzgebung der zwoͤlf Tafeln auf immer verbannte.
Die Geſchichte der Kriege iſt die des fortwaͤhrenden Ver-
falls ehemaliger Groͤße: die Jahrbuͤcher zaͤhlen kaum ein-
zelne Triumphe, nur eine einzige Eroberung, und auch
dieſe von kurzer Dauer. Dagegen treffen die ſinkende Re-
publik ſchmaͤhliche und furchtbare Niederlagen: ihr Da-
ſeyn ſelbſt wird von den Tuskern bedroht: die Eroberun-
gen der Aequer verbreiten ſich, und gegen ihre Verhee-
rungen findet der Landmann nur Schutz in Roms Mauern.
Alles dieſes Elend entſteht aus dem verblendeten Streben
der Patricier, denn eine leidliche Entfernung der bitter-
ſten Beſchwerden durch die Geſetzgebung wendet auch die-
ſen Strohm des aͤußern Ungluͤcks. Und wie phyſiſche
Landplagen ſich faſt immer dem Druck innerer und aͤuße-
rer verſchuldeter Noth zugeſellen, als zerſtoͤre ein Volk
welches ſich ſelbſt zerruͤttet bis auf die Keime ſeines Da-
ſeyns, ſo fiel in dieſem ungluͤcklichſten Zeitraum zwey-
mal eine ſchreckliche Peſt auf die roͤmiſche Nation, und
eben ſo oft wuͤthete der Hunger.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="4"/>
dem Ackerge&#x017F;etz des unglu&#x0364;cklichen Con&#x017F;uls: anfangs bezie-<lb/>
hen &#x017F;ie &#x017F;ich unmittelbar nur auf die&#x017F;es: in der Folge ver-<lb/>
vielfachen &#x017F;ich ihre Zwecke und Beziehungen, &#x017F;ie gewinnen<lb/>
an Wichtigkeit und Gro&#x0364;ße im Verha&#x0364;ltniß des ungerechten<lb/>
Wider&#x017F;tandes, &#x017F;ie erheben &#x017F;ich u&#x0364;ber die be&#x017F;chra&#x0364;nkten An-<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;che welche &#x017F;ich durch Geld me&#x017F;&#x017F;en und ent&#x017F;cha&#x0364;digen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en: aber &#x017F;ie gehen hervor aus jenen ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen<lb/>
Forderungen. Die ganze Zeit hindurch herr&#x017F;cht ein Gei&#x017F;t<lb/>
des erbitterten Ha&#x017F;&#x017F;es, einer wilden Gewalttha&#x0364;tigkeit, den<lb/>
die Ge&#x017F;etzgebung der zwo&#x0364;lf Tafeln auf immer verbannte.<lb/>
Die Ge&#x017F;chichte der Kriege i&#x017F;t die des fortwa&#x0364;hrenden Ver-<lb/>
falls ehemaliger Gro&#x0364;ße: die Jahrbu&#x0364;cher za&#x0364;hlen kaum ein-<lb/>
zelne Triumphe, nur eine einzige Eroberung, und auch<lb/>
die&#x017F;e von kurzer Dauer. Dagegen treffen die &#x017F;inkende Re-<lb/>
publik &#x017F;chma&#x0364;hliche und furchtbare Niederlagen: ihr Da-<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;elb&#x017F;t wird von den Tuskern bedroht: die Eroberun-<lb/>
gen der Aequer verbreiten &#x017F;ich, und gegen ihre Verhee-<lb/>
rungen findet der Landmann nur Schutz in Roms Mauern.<lb/>
Alles die&#x017F;es Elend ent&#x017F;teht aus dem verblendeten Streben<lb/>
der Patricier, denn eine leidliche Entfernung der bitter-<lb/>
&#x017F;ten Be&#x017F;chwerden durch die Ge&#x017F;etzgebung wendet auch die-<lb/>
&#x017F;en Strohm des a&#x0364;ußern Unglu&#x0364;cks. Und wie phy&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Landplagen &#x017F;ich fa&#x017F;t immer dem Druck innerer und a&#x0364;uße-<lb/>
rer ver&#x017F;chuldeter Noth zuge&#x017F;ellen, als zer&#x017F;to&#x0364;re ein Volk<lb/>
welches &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zerru&#x0364;ttet bis auf die Keime &#x017F;eines Da-<lb/>
&#x017F;eyns, &#x017F;o fiel in die&#x017F;em unglu&#x0364;cklich&#x017F;ten Zeitraum zwey-<lb/>
mal eine &#x017F;chreckliche Pe&#x017F;t auf die ro&#x0364;mi&#x017F;che Nation, und<lb/>
eben &#x017F;o oft wu&#x0364;thete der Hunger.</p>
      </div><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0020] dem Ackergeſetz des ungluͤcklichen Conſuls: anfangs bezie- hen ſie ſich unmittelbar nur auf dieſes: in der Folge ver- vielfachen ſich ihre Zwecke und Beziehungen, ſie gewinnen an Wichtigkeit und Groͤße im Verhaͤltniß des ungerechten Widerſtandes, ſie erheben ſich uͤber die beſchraͤnkten An- ſpruͤche welche ſich durch Geld meſſen und entſchaͤdigen laſſen: aber ſie gehen hervor aus jenen urſpruͤnglichen Forderungen. Die ganze Zeit hindurch herrſcht ein Geiſt des erbitterten Haſſes, einer wilden Gewaltthaͤtigkeit, den die Geſetzgebung der zwoͤlf Tafeln auf immer verbannte. Die Geſchichte der Kriege iſt die des fortwaͤhrenden Ver- falls ehemaliger Groͤße: die Jahrbuͤcher zaͤhlen kaum ein- zelne Triumphe, nur eine einzige Eroberung, und auch dieſe von kurzer Dauer. Dagegen treffen die ſinkende Re- publik ſchmaͤhliche und furchtbare Niederlagen: ihr Da- ſeyn ſelbſt wird von den Tuskern bedroht: die Eroberun- gen der Aequer verbreiten ſich, und gegen ihre Verhee- rungen findet der Landmann nur Schutz in Roms Mauern. Alles dieſes Elend entſteht aus dem verblendeten Streben der Patricier, denn eine leidliche Entfernung der bitter- ſten Beſchwerden durch die Geſetzgebung wendet auch die- ſen Strohm des aͤußern Ungluͤcks. Und wie phyſiſche Landplagen ſich faſt immer dem Druck innerer und aͤuße- rer verſchuldeter Noth zugeſellen, als zerſtoͤre ein Volk welches ſich ſelbſt zerruͤttet bis auf die Keime ſeines Da- ſeyns, ſo fiel in dieſem ungluͤcklichſten Zeitraum zwey- mal eine ſchreckliche Peſt auf die roͤmiſche Nation, und eben ſo oft wuͤthete der Hunger.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/20
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/20>, abgerufen am 23.11.2024.