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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Sprache und aller nationalen Eigenthümlichkeit be-
raubte 7). Auch ist dies wohl nicht die letzte Ursache,
warum die späteren und eigentlichen Römischen Geschicht-
schreiber über die Italische alte Geschichte stumm sind.
Die Nationen, in deren ursprünglicher Verschiedenheit
Italien vor Zeiten ein vielfaches Leben genossen hatte,
waren erloschen; und; wenn auch noch eine Zeitlang
in entlegenen Gegenden etruskische oder oskische Sprache
geredet ward; Bücher und Denkmähler waren in Augusts
Zeitalter fast allgemein unverständlich, und vergingen un-
beachtet: denn, was wenigstens die etruskische Sprache
hätte erhalten können, die prophetischen Bücher wurden
in lateinischen Uebersetzungen, oder ihr Inhalt in lateini-
schen Schriften gelesen.

Der Umriß Italiens bildet eine geographische Ein-
heit, welche anzunehmen verleitet, man müsse dieses Land
nothwendig von jeher als ein Ganzes betrachtet und be-
nannt haben. Aber es ist erst sehr spät im Umfang der
natürlichen Gränzen unter diesem einzigen Nahmen zu-
sammengefaßt: so lange es von verschiedenen, in unab-
hängigen Staaten selbstständigen Völkerstämmen bewohnt
ward, ist es von den Einwohnern und den Fremden nach

7) Dadurch, daß die höheren Stände der mexikanischen Na-
tion absichtlich ausgerottet wurden, die wenigen übrig ge-
bliebenen in Armuth versanken, verlohren sich in einem
Jahrhundert die Wissenschaften und die Kenntnisse dieses
merkwürdigen Volks, und sogar seine Künste, welche doch
das niedere weniger vertilgte Volk und nicht die höhe-
ren Kasten ausgeübt hatten. Rom verbrannte die alten
Schriften nicht: aber es verachtete sie.

Sprache und aller nationalen Eigenthuͤmlichkeit be-
raubte 7). Auch iſt dies wohl nicht die letzte Urſache,
warum die ſpaͤteren und eigentlichen Roͤmiſchen Geſchicht-
ſchreiber uͤber die Italiſche alte Geſchichte ſtumm ſind.
Die Nationen, in deren urſpruͤnglicher Verſchiedenheit
Italien vor Zeiten ein vielfaches Leben genoſſen hatte,
waren erloſchen; und; wenn auch noch eine Zeitlang
in entlegenen Gegenden etruſkiſche oder oſkiſche Sprache
geredet ward; Buͤcher und Denkmaͤhler waren in Auguſts
Zeitalter faſt allgemein unverſtaͤndlich, und vergingen un-
beachtet: denn, was wenigſtens die etruſkiſche Sprache
haͤtte erhalten koͤnnen, die prophetiſchen Buͤcher wurden
in lateiniſchen Ueberſetzungen, oder ihr Inhalt in lateini-
ſchen Schriften geleſen.

Der Umriß Italiens bildet eine geographiſche Ein-
heit, welche anzunehmen verleitet, man muͤſſe dieſes Land
nothwendig von jeher als ein Ganzes betrachtet und be-
nannt haben. Aber es iſt erſt ſehr ſpaͤt im Umfang der
natuͤrlichen Graͤnzen unter dieſem einzigen Nahmen zu-
ſammengefaßt: ſo lange es von verſchiedenen, in unab-
haͤngigen Staaten ſelbſtſtaͤndigen Voͤlkerſtaͤmmen bewohnt
ward, iſt es von den Einwohnern und den Fremden nach

7) Dadurch, daß die hoͤheren Staͤnde der mexikaniſchen Na-
tion abſichtlich ausgerottet wurden, die wenigen uͤbrig ge-
bliebenen in Armuth verſanken, verlohren ſich in einem
Jahrhundert die Wiſſenſchaften und die Kenntniſſe dieſes
merkwuͤrdigen Volks, und ſogar ſeine Kuͤnſte, welche doch
das niedere weniger vertilgte Volk und nicht die hoͤhe-
ren Kaſten ausgeuͤbt hatten. Rom verbrannte die alten
Schriften nicht: aber es verachtete ſie.
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[24/0046] Sprache und aller nationalen Eigenthuͤmlichkeit be- raubte 7). Auch iſt dies wohl nicht die letzte Urſache, warum die ſpaͤteren und eigentlichen Roͤmiſchen Geſchicht- ſchreiber uͤber die Italiſche alte Geſchichte ſtumm ſind. Die Nationen, in deren urſpruͤnglicher Verſchiedenheit Italien vor Zeiten ein vielfaches Leben genoſſen hatte, waren erloſchen; und; wenn auch noch eine Zeitlang in entlegenen Gegenden etruſkiſche oder oſkiſche Sprache geredet ward; Buͤcher und Denkmaͤhler waren in Auguſts Zeitalter faſt allgemein unverſtaͤndlich, und vergingen un- beachtet: denn, was wenigſtens die etruſkiſche Sprache haͤtte erhalten koͤnnen, die prophetiſchen Buͤcher wurden in lateiniſchen Ueberſetzungen, oder ihr Inhalt in lateini- ſchen Schriften geleſen. Der Umriß Italiens bildet eine geographiſche Ein- heit, welche anzunehmen verleitet, man muͤſſe dieſes Land nothwendig von jeher als ein Ganzes betrachtet und be- nannt haben. Aber es iſt erſt ſehr ſpaͤt im Umfang der natuͤrlichen Graͤnzen unter dieſem einzigen Nahmen zu- ſammengefaßt: ſo lange es von verſchiedenen, in unab- haͤngigen Staaten ſelbſtſtaͤndigen Voͤlkerſtaͤmmen bewohnt ward, iſt es von den Einwohnern und den Fremden nach 7) Dadurch, daß die hoͤheren Staͤnde der mexikaniſchen Na- tion abſichtlich ausgerottet wurden, die wenigen uͤbrig ge- bliebenen in Armuth verſanken, verlohren ſich in einem Jahrhundert die Wiſſenſchaften und die Kenntniſſe dieſes merkwuͤrdigen Volks, und ſogar ſeine Kuͤnſte, welche doch das niedere weniger vertilgte Volk und nicht die hoͤhe- ren Kaſten ausgeuͤbt hatten. Rom verbrannte die alten Schriften nicht: aber es verachtete ſie.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/46>, abgerufen am 21.11.2024.