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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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sius weitschweifige Geschichtserzählung, noch durch Plu-
tarchs vorgebliche Biographie, würden wir es nicht ahn-
den daß der älteste und unverfälschteste Geschichtschreiber
von seinem Märtyrertode nichts wußte. Wir würden es
vielleicht überhören daß Cicero sich von Atticus die Befug-
niß einräumen läßt Coriolans Tod zu erzählen wie er red-
nerisch am meisten interessire, und daß er seinen Feld-
herrnbefehl im großen volskischen Kriege verwirft durch
den Ausdruck er habe ihm als Römischer Verbannter bey-
gewohnt 92). Aber unter diesen Warnungen kann, wie
es Livius bey einem schon weit mehr historischen Zeitpunkt
gesteht, wo er grade die undenkbarste unter mehreren ganz
widersprechenden Erzählungen auswählt, nur das allge-
meinste für historisch gelten: daß Coriolanus vom Volk
verurtheilt ward, und sein Vaterland mit den Volskern
bekriegte. Das glaubliche und unglaubliche seiner ange-
nommenen Geschichte ist fast gleich sehr verdächtig.

Ein ungerechtes Urtheil war es, wenn C. Marcius
jenen Vorschlag gethan hatte, wahrlich nicht welches ihn
in die Verbannung trieb: Cicero 93) hat entweder auch
hier eine ganz andre Erzählung im Sinn gehabt, oder er
war seines eignen Urtheils über die Nothwendigkeit der
tribunicischen Gewalt uneingedenk. Man darf nicht for-
dern daß die Tribunen einen Vorschlag der ohne Erfolg
geblieben war, hätten großmüthig verzeihen sollen: die
Patricier waren keine edelmüthige Gegner, und sie haben

92) Im Brutus, c. 10. 11. Bellum Volscorum illud gra-
vissimum cui Coriolanus exsul interfuit
.
93) A. a. O.
Erster Theil. E e

ſius weitſchweifige Geſchichtserzaͤhlung, noch durch Plu-
tarchs vorgebliche Biographie, wuͤrden wir es nicht ahn-
den daß der aͤlteſte und unverfaͤlſchteſte Geſchichtſchreiber
von ſeinem Maͤrtyrertode nichts wußte. Wir wuͤrden es
vielleicht uͤberhoͤren daß Cicero ſich von Atticus die Befug-
niß einraͤumen laͤßt Coriolans Tod zu erzaͤhlen wie er red-
neriſch am meiſten intereſſire, und daß er ſeinen Feld-
herrnbefehl im großen volskiſchen Kriege verwirft durch
den Ausdruck er habe ihm als Roͤmiſcher Verbannter bey-
gewohnt 92). Aber unter dieſen Warnungen kann, wie
es Livius bey einem ſchon weit mehr hiſtoriſchen Zeitpunkt
geſteht, wo er grade die undenkbarſte unter mehreren ganz
widerſprechenden Erzaͤhlungen auswaͤhlt, nur das allge-
meinſte fuͤr hiſtoriſch gelten: daß Coriolanus vom Volk
verurtheilt ward, und ſein Vaterland mit den Volskern
bekriegte. Das glaubliche und unglaubliche ſeiner ange-
nommenen Geſchichte iſt faſt gleich ſehr verdaͤchtig.

Ein ungerechtes Urtheil war es, wenn C. Marcius
jenen Vorſchlag gethan hatte, wahrlich nicht welches ihn
in die Verbannung trieb: Cicero 93) hat entweder auch
hier eine ganz andre Erzaͤhlung im Sinn gehabt, oder er
war ſeines eignen Urtheils uͤber die Nothwendigkeit der
tribuniciſchen Gewalt uneingedenk. Man darf nicht for-
dern daß die Tribunen einen Vorſchlag der ohne Erfolg
geblieben war, haͤtten großmuͤthig verzeihen ſollen: die
Patricier waren keine edelmuͤthige Gegner, und ſie haben

92) Im Brutus, c. 10. 11. Bellum Volscorum illud gra-
vissimum cui Coriolanus exsul interfuit
.
93) A. a. O.
Erſter Theil. E e
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[433/0455] ſius weitſchweifige Geſchichtserzaͤhlung, noch durch Plu- tarchs vorgebliche Biographie, wuͤrden wir es nicht ahn- den daß der aͤlteſte und unverfaͤlſchteſte Geſchichtſchreiber von ſeinem Maͤrtyrertode nichts wußte. Wir wuͤrden es vielleicht uͤberhoͤren daß Cicero ſich von Atticus die Befug- niß einraͤumen laͤßt Coriolans Tod zu erzaͤhlen wie er red- neriſch am meiſten intereſſire, und daß er ſeinen Feld- herrnbefehl im großen volskiſchen Kriege verwirft durch den Ausdruck er habe ihm als Roͤmiſcher Verbannter bey- gewohnt 92). Aber unter dieſen Warnungen kann, wie es Livius bey einem ſchon weit mehr hiſtoriſchen Zeitpunkt geſteht, wo er grade die undenkbarſte unter mehreren ganz widerſprechenden Erzaͤhlungen auswaͤhlt, nur das allge- meinſte fuͤr hiſtoriſch gelten: daß Coriolanus vom Volk verurtheilt ward, und ſein Vaterland mit den Volskern bekriegte. Das glaubliche und unglaubliche ſeiner ange- nommenen Geſchichte iſt faſt gleich ſehr verdaͤchtig. Ein ungerechtes Urtheil war es, wenn C. Marcius jenen Vorſchlag gethan hatte, wahrlich nicht welches ihn in die Verbannung trieb: Cicero 93) hat entweder auch hier eine ganz andre Erzaͤhlung im Sinn gehabt, oder er war ſeines eignen Urtheils uͤber die Nothwendigkeit der tribuniciſchen Gewalt uneingedenk. Man darf nicht for- dern daß die Tribunen einen Vorſchlag der ohne Erfolg geblieben war, haͤtten großmuͤthig verzeihen ſollen: die Patricier waren keine edelmuͤthige Gegner, und ſie haben 92) Im Brutus, c. 10. 11. Bellum Volscorum illud gra- vissimum cui Coriolanus exsul interfuit. 93) A. a. O. Erſter Theil. E e

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/455>, abgerufen am 22.11.2024.