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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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zu werden die Nation einwilligt. Nur jenes war der an-
fängliche Beruf der Volkstribunen. Daher konnten sie
auch nicht in eine Mult verurtheilen, sondern nur vor dem
Volk darauf antragen 70): daher konnten sie die Volks-
versammlung nur auffordern sich zu trennen, nicht sie ent-
lassen 71). Sie waren die Sinne des Volks, wahrneh-
mend zogen sie die ihnen vorkommenden Gegenstände vor
seine Erwägung und Entscheidung, und bis dahin hemm-
ten sie daß nichts unwiderrufliches geschehe. Es war eine
unglückliche Ausartung der einfachen und weisen Einrich-
tung, eine Ausartung wie Roms Verfassung ihrer wenige
zählte, daß schon früh dieses hemmende Verbot, nicht al-
lein gegen die Verwaltung bis zur Entscheidung des Volks
von irgend einem des Collegiums, sondern unter einander
von den Tribunen so gebraucht werden konnte, daß die
Befragung der Volksgemeinde aufgehoben ward. Es fin-
den sich historische Spuren über die Veranlassung wie diese
Ausartung entstand 72), und es ist unläugbar daß es eine
List der Patricier war, klug berechnet für den Augenblick,
aber wie jede böse List wenn ihre Wirkung Zeit genug hat
sich zu entwickeln, dem Urheber selbst zuletzt verderblich.
Denn nun wurden die Tribunen eine persönliche Macht,
nicht mehr die Räthe des Volks, und es stand nicht länger
in der Macht des gutgesinnten die ruhestörenden Bewe-

70) Nicht multam dicere, sondern irrogare.
71) Si vobis videtur, discedite, Quirites. Livius II. c. 56.
Ebendaselbst: Appius lictorem mittit ad tribunum, priva-
tum esse clamitans, sine imperio, sine magistratu.
72) Livius II. c. 44.
Erster Theil. D d

zu werden die Nation einwilligt. Nur jenes war der an-
faͤngliche Beruf der Volkstribunen. Daher konnten ſie
auch nicht in eine Mult verurtheilen, ſondern nur vor dem
Volk darauf antragen 70): daher konnten ſie die Volks-
verſammlung nur auffordern ſich zu trennen, nicht ſie ent-
laſſen 71). Sie waren die Sinne des Volks, wahrneh-
mend zogen ſie die ihnen vorkommenden Gegenſtaͤnde vor
ſeine Erwaͤgung und Entſcheidung, und bis dahin hemm-
ten ſie daß nichts unwiderrufliches geſchehe. Es war eine
ungluͤckliche Ausartung der einfachen und weiſen Einrich-
tung, eine Ausartung wie Roms Verfaſſung ihrer wenige
zaͤhlte, daß ſchon fruͤh dieſes hemmende Verbot, nicht al-
lein gegen die Verwaltung bis zur Entſcheidung des Volks
von irgend einem des Collegiums, ſondern unter einander
von den Tribunen ſo gebraucht werden konnte, daß die
Befragung der Volksgemeinde aufgehoben ward. Es fin-
den ſich hiſtoriſche Spuren uͤber die Veranlaſſung wie dieſe
Ausartung entſtand 72), und es iſt unlaͤugbar daß es eine
Liſt der Patricier war, klug berechnet fuͤr den Augenblick,
aber wie jede boͤſe Liſt wenn ihre Wirkung Zeit genug hat
ſich zu entwickeln, dem Urheber ſelbſt zuletzt verderblich.
Denn nun wurden die Tribunen eine perſoͤnliche Macht,
nicht mehr die Raͤthe des Volks, und es ſtand nicht laͤnger
in der Macht des gutgeſinnten die ruheſtoͤrenden Bewe-

70) Nicht multam dicere, ſondern irrogare.
71) Si vobis videtur, discedite, Quirites. Livius II. c. 56.
Ebendaſelbſt: Appius lictorem mittit ad tribunum, priva-
tum esse clamitans, sine imperio, sine magistratu.
72) Livius II. c. 44.
Erſter Theil. D d
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[417/0439] zu werden die Nation einwilligt. Nur jenes war der an- faͤngliche Beruf der Volkstribunen. Daher konnten ſie auch nicht in eine Mult verurtheilen, ſondern nur vor dem Volk darauf antragen 70): daher konnten ſie die Volks- verſammlung nur auffordern ſich zu trennen, nicht ſie ent- laſſen 71). Sie waren die Sinne des Volks, wahrneh- mend zogen ſie die ihnen vorkommenden Gegenſtaͤnde vor ſeine Erwaͤgung und Entſcheidung, und bis dahin hemm- ten ſie daß nichts unwiderrufliches geſchehe. Es war eine ungluͤckliche Ausartung der einfachen und weiſen Einrich- tung, eine Ausartung wie Roms Verfaſſung ihrer wenige zaͤhlte, daß ſchon fruͤh dieſes hemmende Verbot, nicht al- lein gegen die Verwaltung bis zur Entſcheidung des Volks von irgend einem des Collegiums, ſondern unter einander von den Tribunen ſo gebraucht werden konnte, daß die Befragung der Volksgemeinde aufgehoben ward. Es fin- den ſich hiſtoriſche Spuren uͤber die Veranlaſſung wie dieſe Ausartung entſtand 72), und es iſt unlaͤugbar daß es eine Liſt der Patricier war, klug berechnet fuͤr den Augenblick, aber wie jede boͤſe Liſt wenn ihre Wirkung Zeit genug hat ſich zu entwickeln, dem Urheber ſelbſt zuletzt verderblich. Denn nun wurden die Tribunen eine perſoͤnliche Macht, nicht mehr die Raͤthe des Volks, und es ſtand nicht laͤnger in der Macht des gutgeſinnten die ruheſtoͤrenden Bewe- 70) Nicht multam dicere, ſondern irrogare. 71) Si vobis videtur, discedite, Quirites. Livius II. c. 56. Ebendaſelbſt: Appius lictorem mittit ad tribunum, priva- tum esse clamitans, sine imperio, sine magistratu. 72) Livius II. c. 44. Erſter Theil. D d

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/439>, abgerufen am 24.11.2024.