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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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noch keine Ansprüche auf Theilnahme an der Regierung,
wenigstens darauf nicht, zu dem gezwungen werden zu kön-
nen worin sie, als freyer, im Senat nicht repräsentirter
Stand, nicht eingewilligt hatten, so mußten sie sich abge-
sondert und frey versammeln können: ihr Stand mußte
Vorsteher haben, deren stillschweigende Genehmigung ihn
zum Gehorsam verpflichtete, und die, als Stellvertreter,
in seinem Nahmen Maasregeln welche verwerflich schie-
nen, widersprechen, und sie zur Entscheidung der Ge-
meinde bringen konnten. Eingriffe in die Privilegien und
Rechte des Standes, oder Verletzung der persönlichen
Freyheit mußten sie theils selbst ahnden können, theils be-
fugt seyn sie vor das Gericht der Volksgemeinde zu zie-
hen, und den Plebejer der dieses anrief gegen die Vollzie-
hung des eigenmächtigen Urtheils der Obrigkeit schützen.
Der Senat beschloß damals die Kriege: aber diese Be-
schlüsse verpflichteten das Volk nicht, wie ehemals der hin-
zutretende Wille des Königs. Daher konnte jeder Plebe-
jer und von nun an jeder Tribun rechtmäßig den Gehor-
sam bey der Aushebung verweigern, bis in der Folge die
Kriegserklärungen von der Volksgemeinde beschlossen
wurden.

Das Tribunat war, nach dem römischen Staatsrecht,
keine Magistratur: denn die Magistraturen theilten die
höchste verwaltende Macht unter sich; die Tribunen aber
waren die Repräsentanten des Volks im strengsten Sinn,
und Repräsentanten können nie verwalten: sie können nur
darüber wachen daß Gesetze und Rechte heilig gehalten
werden, und neue Gesetze feststellen nach denen verwaltet

zu

noch keine Anſpruͤche auf Theilnahme an der Regierung,
wenigſtens darauf nicht, zu dem gezwungen werden zu koͤn-
nen worin ſie, als freyer, im Senat nicht repraͤſentirter
Stand, nicht eingewilligt hatten, ſo mußten ſie ſich abge-
ſondert und frey verſammeln koͤnnen: ihr Stand mußte
Vorſteher haben, deren ſtillſchweigende Genehmigung ihn
zum Gehorſam verpflichtete, und die, als Stellvertreter,
in ſeinem Nahmen Maasregeln welche verwerflich ſchie-
nen, widerſprechen, und ſie zur Entſcheidung der Ge-
meinde bringen konnten. Eingriffe in die Privilegien und
Rechte des Standes, oder Verletzung der perſoͤnlichen
Freyheit mußten ſie theils ſelbſt ahnden koͤnnen, theils be-
fugt ſeyn ſie vor das Gericht der Volksgemeinde zu zie-
hen, und den Plebejer der dieſes anrief gegen die Vollzie-
hung des eigenmaͤchtigen Urtheils der Obrigkeit ſchuͤtzen.
Der Senat beſchloß damals die Kriege: aber dieſe Be-
ſchluͤſſe verpflichteten das Volk nicht, wie ehemals der hin-
zutretende Wille des Koͤnigs. Daher konnte jeder Plebe-
jer und von nun an jeder Tribun rechtmaͤßig den Gehor-
ſam bey der Aushebung verweigern, bis in der Folge die
Kriegserklaͤrungen von der Volksgemeinde beſchloſſen
wurden.

Das Tribunat war, nach dem roͤmiſchen Staatsrecht,
keine Magiſtratur: denn die Magiſtraturen theilten die
hoͤchſte verwaltende Macht unter ſich; die Tribunen aber
waren die Repraͤſentanten des Volks im ſtrengſten Sinn,
und Repraͤſentanten koͤnnen nie verwalten: ſie koͤnnen nur
daruͤber wachen daß Geſetze und Rechte heilig gehalten
werden, und neue Geſetze feſtſtellen nach denen verwaltet

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[416/0438] noch keine Anſpruͤche auf Theilnahme an der Regierung, wenigſtens darauf nicht, zu dem gezwungen werden zu koͤn- nen worin ſie, als freyer, im Senat nicht repraͤſentirter Stand, nicht eingewilligt hatten, ſo mußten ſie ſich abge- ſondert und frey verſammeln koͤnnen: ihr Stand mußte Vorſteher haben, deren ſtillſchweigende Genehmigung ihn zum Gehorſam verpflichtete, und die, als Stellvertreter, in ſeinem Nahmen Maasregeln welche verwerflich ſchie- nen, widerſprechen, und ſie zur Entſcheidung der Ge- meinde bringen konnten. Eingriffe in die Privilegien und Rechte des Standes, oder Verletzung der perſoͤnlichen Freyheit mußten ſie theils ſelbſt ahnden koͤnnen, theils be- fugt ſeyn ſie vor das Gericht der Volksgemeinde zu zie- hen, und den Plebejer der dieſes anrief gegen die Vollzie- hung des eigenmaͤchtigen Urtheils der Obrigkeit ſchuͤtzen. Der Senat beſchloß damals die Kriege: aber dieſe Be- ſchluͤſſe verpflichteten das Volk nicht, wie ehemals der hin- zutretende Wille des Koͤnigs. Daher konnte jeder Plebe- jer und von nun an jeder Tribun rechtmaͤßig den Gehor- ſam bey der Aushebung verweigern, bis in der Folge die Kriegserklaͤrungen von der Volksgemeinde beſchloſſen wurden. Das Tribunat war, nach dem roͤmiſchen Staatsrecht, keine Magiſtratur: denn die Magiſtraturen theilten die hoͤchſte verwaltende Macht unter ſich; die Tribunen aber waren die Repraͤſentanten des Volks im ſtrengſten Sinn, und Repraͤſentanten koͤnnen nie verwalten: ſie koͤnnen nur daruͤber wachen daß Geſetze und Rechte heilig gehalten werden, und neue Geſetze feſtſtellen nach denen verwaltet zu

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/438>, abgerufen am 24.11.2024.